Plötzlich Royal
persönliche Erinnerungsfotos anwesend, als ich auf dem roten Teppich die wichtigsten Leute des Krankenhauses begrüßte. Fernsehkameras fehlten. Dann fuhr ich im Lift mit der Sir Geoffrey behandelnden Oberärztin, John und dem Fotografen direkt auf die Etage der Station für Schädel- und Hirnverletzungen. Oben streckte zuerst John seinen Kopf aus dem Fahrstuhl. Es war all clear . Der Krankenhausbetrieb ging trotz meiner Anwesenheit weiter, Schwestern, Pfleger und Ärzte wichen zur Seite und neigten den Kopf, wenn ich vorbeiging, wie es die Etikette vom Personal verlangte, das bei der Arbeit zufällig dem Monarchen begegnete. Die Ärztin und ich zogen uns einen grünen Kittel, eine grüne Kappe und einen Mundschutz an, dann mussten wir uns mit einer nach Krankenhaus riechenden Flüssigkeit die Hände und die Unterarme waschen. Simons Abwesenheit begrüßte die Oberärztin. Der Patient sei alles andere als stabil. Sein Zustand erlaube es nicht, gesellschaftspolitische Themen kontrovers zu diskutieren, warnte sie mich.
Was sollte ich mit ihm überhaupt diskutieren? Cramer war es, der mich in diese Situation gebracht hatte. Als Arzt verkleidet wurde ich nun von der Oberärztin durch eine Schleuse in den Bereich der Intensivpatienten geführt und Sir Geoffreys Zimmer gebeten. Dies mit dem Hinweis, so wenig wie möglich anzufassen und den Mundschutz nicht abzulegen.
Da lag der Sir mit verschraubtem Kopf und umgeben von jeder Menge Monitoren und Apparaten. Irgendwie erinnerte er mich an das Frankenstein-Monster aus den Schwarz-Weiß-Filmen. Die Oberärztin wies die Stationsschwester an, dem Patienten eine kleine Dosis Adrenalin zu injizieren, damit er wach würde. Sie beobachtete Blutdruck und Herzschlag, während die Schwester das Medikament in die Infusionskanüle spritzte. Es dauerte einen Moment, bis der Sir die Augen aufschlug. Er wirkte sehr müde und nicht so zornig wie am Tag der Parade.
„Sir Geoffrey, na, wie geht es uns denn heute Nachmittag?“, fragte die Ärztin süßlich herablassend.
„Man ist in Gottes Hand“, flüsterte der Sir.
„Der König ist heute zu uns gekommen.“
„George VIII. lebt, dem Herrn …“, flüsterte der Sir.
„Nein“, wurde die Ärztin nun etwas ungeduldiger und bedeutete mir, näher zu treten. „Nein, Seine Majestät König Alexander IV.“, korrigierte sie und zog sich zwei Schritte vom Bett zurück. Sir Geoffrey reagierte nicht auf ihre Worte. War er überhaupt ganz bei Bewusstsein?
Ich hatte keine Ahnung, was ich nun sagen oder tun sollte. Cramer wollte, dass ich ihm etwas über das Attentat entlockte. Aber wie? Ein „Wie geht’s?“ war wohl viel zu platt. Vielleicht würde es den Anfang erleichtern, wenn ich in seiner Sprache redete, dachte ich mir.
„Der Herr ließ uns weiterleben. Er scheint noch eine Aufgabe für uns beide zu haben“, sprach ich ihn nach etwas Zögern an.
Die Oberärztin deutete mir mit einem Tippen auf ihre Armbanduhr an, dass ich nicht viel Zeit hatte.
„Mag vielleicht … so sein. Die Wege des Herrn … unergründlich.“
„Die britische Krone gilt nach wie vor viel in der Welt. Um Himmels willen, Sir Geoffrey, schützen Sie die Krone, wie es Ihre Pflicht als Brite ist, und nennen Sie mir die Drahtzieher des Attentats! Der Botschafter von Simbabwe?“
Er schaute mich schweigend an.
„Sir Geoffrey, vielleicht werden Sie bald Ihrer Majestät im Himmel gegenübertreten. Können Sie das mit reinem Gewissen?“
„Ja, die Botschaft … nicht nur … Söldner … der Lord … Russen …“
Er schloss die Augen. Die Schwester fragte, ob sie noch einmal Adrenalin verabreichen solle, doch die Oberärztin schüttelte den Kopf. Wenn der Blutdruck noch weiter steige, dann riskierten sie eine Blutung im verletzten Gehirn. Sie müsse den Patienten dringend wieder in ein künstliches Koma versetzen. Mit etwas Glück seien dann in einigen Tagen längere Verhöre möglich.
Draußen im Flur rief ich Cramer an, Sir Geoffrey habe die Verstrickung der Botschaft von Simbabwe bestätigt und etwas von Söldnern gefaselt, die von einem russischen Lord geführt würden. Cramer hatte sich mehr erhofft, versprach aber, die Informationen an den Geheimdienst weiterzuleiten. Vielleicht könnten die sich einen Reim darauf machen, wer der russische Lord sei.
Auf dem Weg zurück in die Tiefgarage spukten allerlei wilde Spekulationen durch meinen Kopf. Steckte die Russenmafia hinter allem? Der Kalaschnikow-Trojaner, den Timm in unserem Netzwerk gefunden
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