Plötzlich Royal
die Nation ihren König!“, mahnte Sir Wilfried.
„Sir, Majestät, man teilt uns gerade mit, dass jetzt das Gespräch zwischen Earl Binnester und dem Terroristenführer auf CNN gesendet wird“, meldete ein Korporal.
„Ich diente im Falklandkrieg, aber jetzt wäre ich doch dankbar, wenn diese Schaukelkiste bald an ihr Ziel käme“, bemerkte Sir Wilfried und ich konnte gerade noch die Beine hochziehen, bevor sich der Sir übergab.
Logieren wie in Bagdad
Der Radpanzer manövrierte kurz, dann standen wir rückwärts vor einer Balkontür des Ritz. Der Vorgarten war dadurch ruiniert worden, doch das störte in der Situation niemanden. Simon half Sir Wilfried hinaus, Timm Kevin, Sam und ich bugsierten John durch die Gartentür in eine Suite, wo uns bereits Sanitäter erwarteten. Simon gab Acht, dass die beiden Jungs nicht irgendwie verlorengingen. Kevin versicherte ihm, die beiden anderen Jungs könnten bei ihm zu Hause ihre Eltern anrufen und, falls nötig, auch übernachten.
Timm bot sich an, uns die ganze Nacht über zu bewachen. Doch da er ja ein paar Minuten bewusstlos gewesen war, überredete ihn Peter, auf einer Couch im Hotel ein paar Stunden zu schlafen. Morgen früh würden sie beide mir wieder zur Verfügung stehen.
„Wie beim ANC, im positiven wie negativen Sinn“, meinte John, als er an mir vorbeigetragen wurde.
Ein Arzt kontrollierte den aus T-Shirt-Fetzen improvisierten Verband an Johns Bein und verfügte den schnellen Abtransport in ein Krankenhaus. Ich versicherte ihm, sonst brauche niemand in unserem Radpanzer medizinische Hilfe, Sir Wilfried aber einen Brandy. Die indische Hoteldame, die hinzugetreten war und die wir bei unserem ersten Besuch im Ritz kennengelernt hatten, teilte uns mit, in der Eingangslobby erwarte mich die internationale Presse. Ich zögerte einen Moment. Es war nicht üblich, dass sich der Monarch wie ein Politiker vor der Presse zeigte. Doch was war in dieser Nacht schon üblich? Mit Simon an der Hand trat ich in schmutzigen Jeans und mit vor Dreck fast schwarzen Sneakers in die edle Lobby des Ritz. Man empfing uns beide mit einem warmen Applaus.
„Seine Majestät Alexander IV., König der Briten, der Kanadier, der Australier, Neuseeländer und der Jamaikaner“, rief Sir Wilfried, der zwar kreidebleich, aber tapfer seinem König gefolgt war. Nun musste ich an das große Mikrofon-Bündel treten, während Kameramänner um die besten Positionen rangelten. Wer hinten stand, musste seine Kamera mit gestreckten Armen über die anderen heben. Nur der Himmel wusste, wie viele Millionen mich nun sehen würden. Ich blickte in die Runde. Selbst Jack Kern hatte sich eben von einem der eilig an den Rand geschobenen Sessel rechts außen erhoben. Es war eine peinliche Stille entstanden, doch erst musste die Rede wie eine Art Bild vor meinem geistigen Auge erscheinen.
„Meine Damen und Herren von der nationalen und internationalen Presse und alle jene, die live zugeschaltet sind, ich begrüße Sie. Ich weiß, meine Kleider sind nicht gerade das, was das Ritz von seinen Gästen gewohnt ist. Doch das hat mir heute vielleicht das Leben gerettet, denn die Terroristen konnten mich in der Menge nicht erkennen. Aber entscheidend war der professionelle und mutige Einsatz von meinen Freunden, Leibwächtern, meiner Garde, der Polizei, der Feuerwehr und den Rettungskräften. Ihnen allen möchte ich danken.
Es ist eine traumatische Nacht. Der internationale Terror und rechtsextreme Wirrköpfe haben kranke Pläne gegen uns geschmiedet. Sie haben heute wieder viele Unschuldige mit in den Tod gerissen. Menschen, die ihr Leben noch vor sich hatten und für eine bessere, friedlichere Welt mit gegenseitiger Toleranz einstanden. Ich als Ihr König Alexander IV., ich als Mensch Sascha Burger trauere und verzweifle fast an dem Schmerz, der in meiner Seele sticht, und so geht es bestimmt vielen von Ihnen. Doch alle Menschen im Vereinigten Königreich und in der ganzen zivilisierten Welt, ob gläubig oder Atheist, ob linksliberal oder rechtskonservativ, verurteilen diese barbarische Tat. Daran zweifle ich keinen Moment.
Nach solch grauenvollen Stunden fragen wir uns alle: Wie konnte es so weit kommen? Es beginnt in beschaulichen Kirchen und Bischofssitzen, beispielsweise bei Alt-Bischof Geoffrey Graham Dow von Carlisle. Seine Exzellenz ließ im Jahre 2007 nach schlimmen Überschwemmungen in Großbritannien verlauten, dies sei Gottes Strafe für die Toleranz gegenüber Schwulen. Ein russischer
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