Plötzlich Royal
Forschungsanstalten und gilt als beste des Kontinents. Also studiert Sascha Philipp an erster Adresse, wo übrigens Albert Einstein wirkte. Sie werden vielleicht einen Einstein als König haben. Ich werde das wohl nicht mehr erleben.“
„Das sind doch schon einige interessante Informationen, Sir Wilfried“, bedankte sich der Moderator beim hoch angesehenen grauhaarigen Sir. „Mit Genehmigung der Daily World dürfen wir hier ein Foto des jungen Mannes einblenden.“
„Ja, vor einem knappen Jahrhundert sah ich auch so gut aus“, erlaubte sich Sir Wilfried einen kleinen Scherz.
„Steht auf Ihrem Blatt noch eine Winzigkeit mehr, Sir Wilfried?“, forderte der Moderator leicht ungeduldig.
„Der dreiundzwanzigjährige Viscount ist ledig. Er ist Mitglied in der Offiziersgesellschaft und bei einer Studentenvereinigung namens – oh dear, das ist deutsch – Zart & Heftig . Bedauerlicherweise habe ich keine Ahnung, was das heißt.“ Sir Wilfried zuckte verlegen mit den Schultern.
„Offenbar ein engagierter Student. Möglicherweise ist er politisch aktiv?“
„Ja, meine Sekretärin, die mit diesem modernen Internet auf geradezu magische Weise klarkommt, hat da notiert: Politik: Sozialdemokratische Partei und Pink Cross, Schweizer Fernsehen habe Interviews, Sir Wilfried fragen, ob downloaden“, las er in rührender Bemühung die Notizen seiner Sekretärin vor. Diese hatte einfach meine kurze Wikipedia-Seite abgeschrieben. Mangels Alternativen hatte die BBC-Online-Redaktion den Download bereits vorbereitet. Mit einem Dank an das Schweizer Fernsehen für die Erlaubnis und die Untertitelung ließ der Moderator das Interview anlaufen.
„Ups! Ab jetzt weiß jeder Brite, dass du einen Freund und keine Freundin hast“, fürchtete Simon neben mir. Ich drückte ihm die Hand als Zeichen, dass ich zu ihm stünde, egal was das Video auslösen würde.
Wahrscheinlich hatte die Redaktion bei der allgemeinen Aufregung und dem Zeitdruck keine Ahnung davon, was da zu sehen sein würde. Hoffentlich war es nicht das Interview vom letzten CSD, als Simon und ich uns mit Fingerfarben einen Regenbogen auf die Brust gemalt hatten.
Das wohl vom Schweizer Fernsehen für die BBC in korrektem Englisch untertitelte Video zeigte mich als Leutnant vor einer Kaserne. Es stammte aus dem Abstimmungskampf zum Partnerschaftsgesetz. Ich stellte mit Entsetzen fest, dass ich damals einen Pubertätspickel gehabt hatte. Wie peinlich! Das Interview drehte sich um die damals übliche Frage, ob mein Zug wüsste, dass ich schwul sei – klar, wenn ich ins Fernsehen komme –, und ob es deswegen für mich Probleme gebe und warum ich für das Partnerschaftsgesetz sei. Das ganze Interview dauerte zwei Minuten. Dank der Untertitelung war es nun eindeutig: Die neue Nummer zwei war schwul! Im ersten Moment konnte ich mir eine gewisse Schadenfreude nicht verkneifen, bis ich mir wieder dessen bewusst wurde, dass ich nicht wie Jack Kern und die anderen Boulevardjournalisten Zuschauer war, sondern von diesem Augenblick an mitten auf der Bühne stand.
BBC schnitt wieder auf die Expertenrunde zurück. Nun hatte man sich in der Hektik einer Live-Sendung in eine schwierige Ecke manövriert. Der altgediente Hofexperte war wohl nicht gerade die erste Adresse, um schwule Themen zu kommentieren. Der Moderator benötigte einen Moment, um sich eine Frage zurechtzulegen. Sehr geistreich war sie nicht.
„Sir Wilfried? Erste Gedanken?“
„Was war das für eine seltsame Sprache? War das Schweizerdeutsch? Interessant, eher Alemannisch als Deutsch?“, rätselte der Sir.
„Ich fürchte, das wird wohl im Moment das Fernsehpublikum nicht primär interessieren. Als Physiker wird er bestimmt auch Englisch können, Sir Wilfried.“
„Das Privatleben des jungen Offiziers ist eine Angelegenheit, die wohl nicht mehr meine Generation zu beurteilen hat.“
„Wäre ein schwuler Thronfolger oder gar König denkbar?“, hakte der Moderator nun etwas energischer nach. „Wir haben ja in den letzten Jahren einen schnellen gesellschaftlichen Wandel zur Toleranz erlebt. Denken Sie nur an den schwulen Regierenden Bürgermeister von Berlin oder an unseren Parlamentarier Michael Cashman.“
Sir Wilfried schaute noch einmal auf seinen Zettel, doch darauf stand wohl keine elegante Antwort. Dann blickte er wieder zum Moderator auf. „Ich will nicht behaupten, das einundzwanzigste Jahrhundert hätte keine Moral, es ist aber eine andere, als wir – die Generation der Queen – sie
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