Plötzlich Royal
die erste Staffel.
Am nächsten Tag hingen in der Stadt ab und quatschten im Barfüßer lange mit einem vierzigjährigen Spätzünder. Wir behaupteten skrupellos, wir seien neunzehn und würden nach den Ferien mit dem Studium beginnen. Er kaufte es uns ab. Also sahen wir doch nicht aus wie fünfundzwanzig, wenigstens das. Als er dreihundert Franken für ein privates Stündchen bot, lehnte Simon schnell ab, bevor ich aus Langweile und Planlosigkeit eine Dummheit machte.
So saßen Simon und ich am Abend alleine vor dem Fernseher, um in den Nachrichten zu hören, wie es Großvater ging. Er sei aufgewacht und ansprechbar, wurde im Wesentlichen mitgeteilt. Etwas wurmte es mich schon, dass ich so etwas aus den Nachrichten erfahren musste. Immerhin war König George ja mein Großvater. Weder hatte jemand angerufen, noch hatte der Palast eine E-Mail geschrieben. Immerhin schrieb mir Carmen ein paar Sätze. Leopold und sie seien froh, dass mir nichts passiert sei, und sie beide würde es wie Papi sehen, ich solle einen Job in der Industrieforschung suchen. Simon erwähnte sie mit keinem Wort. Deshalb ließ ich es mit einer knappen SMS „Danke für deine Anteilnahme, Gruß an Leopold.“ bewenden.
Dafür chatteten Simon und ich ausführlich mit Timm, der hatte bei einer britischen Menschenrechtsorganisation einen sehr schlecht bezahlten, wenn nicht sogar ehrenamtlichen Bürojob. Er sei fast gestorben, als er die Bilder im Fernsehen gesehen hätte, und er habe eine Mega-Panik gekriegt, mir und Simon sei was passiert. Jetzt sei er total froh, dass es uns gut gehe, und wir vereinbarten, das kommende Wochenende gemeinsam zu verbringen. Mit meiner Kreditkarte buchte ich für ihn einen Flug nach Zürich für kommenden Freitagabend.
Nach dem Chat mit Timm posteten wir als „SunnyGay“ bei queer.de unseren Senf zu Bischof Overbecks neuesten Anti-Homo-Statements im Zusammenhang mit dem Missbrauchsskandal in der Kirche. So drifteten Simon und ich durch die Woche mit viel Szene, Sport und Internet, und keusch lebten wir auch nicht. Selbstverständlich hatte Vater im Kern r echt. Wir sollten ernsthaft unser Leben planen, doch dazu war mein Royal-Koller zu groß. Das Attentat war sicher nicht leicht zu verdauen, doch vor allem der homophobe Ausbruch von Sir Geoffrey hatte in mir eine Trotzreaktion ausgelöst: Jetzt erst recht in der Szene abhängen!
Am Freitag gegen Abend checkte ich endlich mal wieder die Nachrichtenlage. Großvater hatte sich eine Infektion geholt. Die Zeremonie zur Unterschrift sei aber nicht in Gefahr, da die letzten Symptome des Gifts verschwunden seien. Die Entlassung war aber wegen der Infektion auf Sonntag verschoben worden, nur aus grundsätzlicher Vorsicht, wie betont wurde.
Damit war die Sache ja wohl abgehakt und der Rest nur noch der Nervosität der Ärzte zuzuschreiben, die beim König garantiert nichts falsch machen wollten.
Im Rainbow Dome war Leder-Punk-Abend, nicht gerade passend im Hochsommer, doch ein Bild von Bill Kaulitz, dem Sänger der Band Tokio Hotel, auf dem Laufsteg hatte die Fantasie der Veranstalter angeregt. Warum die Leute vom Rainbow Dome erst ein knappes halbes Jahr nach Bills Auftritt in Mailand auf die Idee des Lederabends kamen, blieb mir ein Rätsel.
Simon und ich hatten eine fast ebenso schlanke Gestalt wie Bill, deshalb war es Ehrensache, sich wie dieses seltsam faszinierende Lebewesen anzuziehen. Während wir uns gegenseitig in die Lederjeans mit den superengen Hosenstößen halfen, schmiedeten wir Pläne, ob wir nicht ein paar Tage nach Köln fliegen sollten, um dort mal die Szene zu erforschen. Vielleicht sogar Berlin? Simon fragte ernsthaft, ob ich als Royal nicht Termine mit Klaus Wowereit und Volker Beck klarmachen könne. Den schwulen Regierenden Bürgermeister würde er gerne kennenlernen. Ich fand den Gedanken weniger cool. Im Moment wollte ich nichts mehr von der britischen Thronfolge wissen.
Wir zogen uns ein paar Farbstreifen in unser blondes, fast schulterlanges Haar und stylten es frech. Dazu noch ein transparentes Shirt und einen Regenbogengürtel. In einer Sporttasche nahm ich noch zwei normale Straßenjeans mit, falls das Lederzeugs bei dem heißen und gewittrigen Wetter doch zu unangenehm würde. Simon hatte bereits eine SMS von Timm erhalten, er sei nun im Flugzeug. Noch die teureren Lederjacken dazu, offen getragen, und los ging es im Partnerlook. Wir kletterten auf der Rückseite des Grundstücks über den Zaun in die Nachbargasse, damit der auf dem
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