Plötzlich Royal
haben, und beim Indien-Staatsbesuch, den er gerade mit Cramer anschiebe, müsse ich Simon zu Hause lassen. Er habe nichts gegen Simon, aber auf dem globalen Parkett gäbe es eben ein paar ungeschriebene Benimm-Regeln. Ob diese fair seien oder nicht, sei nicht der Punkt. Er ließ sich vom Chauffeur seinen Aktenkoffer mit den abgerundeten Ecken geben, nahm einen Geschäftsbericht heraus und drückte ihn mir energisch in die Hand. Ich solle mich endlich einmal damit befassen.
„Sei nicht so grob zu unserm Bub“, mahnte ihn Mum. Daraufhin verabschiedete er sich doch noch anständig und fuhr los.
Ich schaute ziemlich fassungslos dem Mercedes nach, wie er im Londoner Nieselregen entschwand, um meinen Vater zum Jet nach Singapur zu bringen. Ich verstand nicht, was seine schlechte Laune sollte. Er hatte kein herzliches Verhältnis zu meinem Großvater gehabt als sogenannter Prinzessinnenverführer, wie er damals nicht nur in der Boulevardpresse genannt worden war. Also konnte ihm Georges Tod nicht besonders nahegegangen sein.
Nach dem Geschäftsbericht verwaltete Burgo-Invest unter anderem etwa eine Viertelmilliarde US-Staatsanleihen der Bank of China, erklärte mir Grant, als wir im Rolls-Royce zurück zum Ritz fuhren. Das sei etwa so viel wie das britische Staatsdefizit 2009-2010. Wie sagte Papi einmal? Es macht nichts, wenn dir nur eine einzige Milliarde gehört; im globalen Spiel komme es darauf an, über wie viele Milliarden du gebietest. Besser Linksromantik als Liberalzynismus, sagte ich später zu Simon. Ich sollte Papi also die Tür zum indischen Markt öffnen. Sein Verhalten war wirklich abstoßend, da hatten der Colonel und Grant ganz recht. Papi hatte mich mit dem Gefühl zurückgelassen, im Machtspiel der internationalen Konzerne und Financiers sei ich nur sein Portier für die Märkte des Commonwealth, bestenfalls, oder wegen Simon einfach nur ein Klotz am Bein.
Flagge zeigen
Etwas offizieller und gewagter war unser letzter Abend im Ritz. Wir empfingen den Chef von der britischen Stonewall Charity und seinen Lebenspartner sowie die Chefredakteurin der wichtigsten Lesben-Zeitschrift Großbritanniens mit ihrer Frau. Nach dem Dinner war ich etwas enttäuscht. Die vier hatten sich verhalten, als ob man in den Tower käme, wenn man in Gegenwart des Königs die Gabel in die falsche Hand nimmt. Na gut, bei den Engländern weiß man nie.
Leider hatten wir noch immer nichts von Timm gehört, seit wir uns in der Disco in Zürich aus den Augen verloren hatten, und ich machte mir seinetwegen mehr und mehr sorgen. Um mich aufzumuntern, zeigte mir Simon auf YouTube, wie Mr Bean das mit den Royals sieht.
Dann war der große Tag da. Ich konnte schon um fünf Uhr nicht mehr schlafen, schlich aus dem Bett, um Simon nicht zu wecken, und beobachtete aus dem Fenster, wie die Polizei und Arbeiter der Stadt den Green Park absperrten. Eine Kaltfront war schon vorbei und der Tag würde wohl kühl, aber trocken bleiben. Deshalb hatte man sich offensichtlich für das Schönwetterprogramm entschieden. Es hatte gewiss eine staatstragende Logik, sich durch das Attentat nicht einschüchtern zu lassen und den neuen König nicht im Tower bei den Kronjuwelen aufzubewahren, sondern dem Volk zu zeigen. Also würden Simon und ich in einer offenen Kutsche vom Hotel durch den Green Park zum Palast fahren. In der Nacht war die östliche Hälfte des Green Parks mit Bauzäunen abgesperrt worden und wer sich an der Route der königlichen Kutsche postieren wollte, musste Sicherheitsschleusen wie am Flughafen passieren. Hier und dort wurden Bänke weggeräumt und Papierkörbe abgeschraubt, Polizeihunde schnüffelten den Weg ab.
Die kleine Parade würde erst in der Mittagspause starten, damit mehr Menschen ihr am Fernsehen beiwohnen konnten.
Die Sorge, in einer offenen Kutsche zu fahren, machte sich bei mir breit. Doch ein letzter Blick hinunter zeigte, dass wirklich alle paar Meter ein Bobby am Wegrand stand, fünfzig Meter dahinter hatten sich Garden in Zivil verteilt.
„Ein großer Tag, Majestät“, versuchte der Colonel am Mittag uns angespannte Burschen in weißen, ösenlosen Jeans zu beruhigen. Colonel McLey hatte darauf bestanden, dass wir wieder die roten Uniformjacken anzogen, das gehöre sich einfach so. Und nun würde es gleich halb eins sein.
„Sascha, Majestät, wie fühlen Sie sich heute?“, rief ein Reporter. Eigentlich ein Tabubruch, denn der Queen hätte man auf keinen Fall etwas zugerufen. Deshalb zog ich es vor, nicht zu
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