Plötzlich Royal
reagieren.
Der Colonel erwartete uns bei der Kutsche. „Alle kulturellen Gruppen und Minderheiten im Vereinigten Königreich und darüber hinaus haben eine Delegation zur Parade geschickt, die Ihnen am Wegrand zujubeln werden“, erklärte mir der Colonel. Danach wechselte er wie immer mit Simon ein paar Sätze Smalltalk auf Gälisch, bevor Simon und ich vor dem Ritz in die offene Kutsche stiegen und uns in Fahrtrichtung setzten. Berittene Garden waren vor und hinter uns aufgestellt. Es schlug halb eins, das Kommando zum Abmarsch wurde gebrüllt und die Kutsche setzte sich im Schritttempo in Bewegung. Es herrschte nicht gerade Kaiserwetter, doch der Himmel war nicht vollständig bewölkt, gelegentlich brach die Sonne hervor. Der breiteste Weg hätte am Parkrand entlang direkt zur Mall geführt, doch wir fuhren auf einem etwas schmaleren Weg schräg in den Park hinein. Eine überschaubare Menschenmenge hatte sich versammelt. Sie applaudierte höflich, aber nicht überschwänglich. Meist jüngere Leute wohnten der Parade bei. Das durchschnittliche Alter der Menschen hier war etwa dreißig. Insbesondere ältere Leute fehlten auffällig. Wie der Colonel es angekündigt hatte, standen sie in Gruppen, die sich um Flaggen der Commonwealth-Staaten versammelt hatten. Eine indische Gruppe mit Fahne und Gandhi-Foto winkte besonders intensiv, was mich erstaunte. Simon wies mich auf eine südafrikanische Gruppe hin, alle mit Nelson-Mandela-T-Shirt; auch sie winkten! Teenager sah ich kaum, in dem Alter wollte man sich nicht in der Nähe eines schwulen Königs zeigen, da könnte sich einer etwas dabei denken.
Mit nur fünfzehn Grad Celsius war es eher frisch im Park. Die Leute schwenkten Fähnchen mit der britischen Nationalfahne oder auch Flaggen von Regionen und Volksgruppen, die mir teilweise nicht bekannt waren. Sie waren alle freundlich, doch die große Stimmung war das nicht. Ich könne auch nicht erwarten, dass mir Horden von Fans wie Bill Kaulitz kreischend entgegenrennen; dem König begegne man eben höflich, erklärte mir Simon. An einer Rasenfläche im Park hielt die Kutsche und wir stiegen aus, um ein paar Hände zu schütteln.
Hinter der zweiten Reihe Sicherheitsleute wurde plötzlich von einem rothaarigen, dünnen, langen Burschen in einer Art Emo-Punk-Look eine Regenbogenfahne unter einer Bank hervorgezogen und schnell ausgerollt. Ich hatte einen Moment Blickkontakt mit ihm, das war unser Timm! Zwei Bobbys rannten zu ihm hin und einer riss unserem an der Unterlippe zweifach gepiercten jungen Mann die Fahne weg. „Keine Politik hier“, konnte man bis zu mir hören.
Die Queen hätte an meiner Stelle wohl so getan, als hätte sie nichts bemerkt. Doch die Regenbogenfahne betraf mich persönlich, außerdem war Timm unser Freund. Ohne weiter nachzudenken, sprang ich über die niedrige Absperrung, die ihn von den Leuten trennte. Timm wehrte sich heftig, um sich nicht von den beiden und einem Agenten im Trenchcoat abdrängen zu lassen. Die Beamten drehten mir den Rücken zu. Der ganze Park starrte auf uns, bis auf die berittenen Garden, die ja geradeaus schauen mussten. Der Colonel stieg aus der Kutsche mit den Staatsinsignien aus und folgte mir in ein paar Metern Abstand. Selbst die Sicherheitsleute wussten nicht, was nun zu tun war, während ich langsam, aber bestimmt auf die inzwischen auf dem Rasen liegende Fahne zuging und sie aufhob.
„Gibt es ein Problem, Constable?“
Der Trenchcoat drehte sich erschrocken um. „Majestät, nein, Sir.“
„Flaggezeigen ist wichtig“, ermahnte ich ihn. Die drei Beamten bildeten noch immer eine Mauer zwischen mir und dem Demonstranten. Der hochgeschossene Timm in schwarzen, hautengen Jeans, dunkelblauen Sneakers, hochgezogenen Socken und Lederjacke wirkte nicht aggressiv, sondern nur enttäuscht.
„Sascha, die Polizei hat gesagt, Regenbogen sei verboten, weil zu politisch. Aber alle anderen, Schwarze, Muslims, Schotten, Südafrikaner und so, dürfen hier Flagge zeigen“, plapperte Timm gleich los. „Wir sind doch auch eine Bevölkerungsgruppe, der Regenbogen ist nicht nur ein politisches Symbol.“
„Man beginnt mit ‚Majestät‘ und endet mit ‚Majestät‘ oder ‘Sire’“, maßregelte ihn der Trenchcoat.
„Ist ja gut, Constable. Würden Sie nun zur Seite gehen, damit ich ihm die Hand reichen kann?“
Endlich traten die drei zögernd zur Seite.
„Ohne mutige Leute wie dich wäre ich als König nicht möglich, Timm.“
„Majestät, Sire. Die haben
Weitere Kostenlose Bücher