Plötzlich Royal
Fletcher im Flur. Also gingen wir gleich zu Earl Binnester. Der residierte in einem prunkvollen viktorianischen Büro, mit einem Bild der Queen an der Wand. Der Earl ließ seine Halbbrille auf der Nase etwas nach unten gleiten und blickte die junge Truppe an, die da störte, bemühte sich jedoch um Höflichkeit und erhob sich kurz von seinem Bürostuhl.
„Wie kann ich dienen, Sire?“
„Die Firewall“, begann ich. „Ich bin der Ansicht, wir sollten die Politik der Internet-Firewall dringend überdenken.“
„Es gibt ja Brunos Server außerhalb der Firewall, wo mittlerweile die Hälfte der Leute ihre Filmchen runterlädt und wovon ich selbstverständlich nichts weiß. Denken Sie an Ihre Majestät und daran, dass man in Ihrer Position, Sire, über gewisse Dinge nicht spricht“, meinte Binnester und deutete wieder sitzend auf das große Foto der Queen.
„Ich spreche nicht von Pornografie, sondern von normalen Nachrichten der LGBT-Community. Außerdem bin ich der Ansicht, dass es ein falsches Signal an das Personal ist, wenn alles blockiert wird, was mit Homosexualität zu tun hat. Sachliche Nachrichten und reine Informationen sind keine Pornografie.“
„Sehen Sie, Sirs, die gesellschaftliche Aufgabe des Königshauses ist es, ein moralisches Vorbild zu sein. Dies ist eine der zentralen Aufgaben, neben all den repräsentativen Pflichten.“
„Eine Moral, die gleichgeschlechtliche Liebe von vornherein ausschließt, ist ungerecht. Deshalb möchte ich, dass ‚pro-homosexual contents‘ freigegeben wird.“
Der Earl blickte über seine Halbbrille hinweg zur Queen hoch, als sehnte er sich nach einem klärenden Wort Ihrer Majestät wider den frechen Zürcher in seinem Büro. Mich begann sein Zögern zu nerven. Außerdem verstieß er gegen sein Protokoll, wenn er mich, den König, stehen ließ. Sollte ich ihn darauf aufmerksam machen? Es ging jetzt nur um die Firewall.
„Das kann ich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren“, meinte er nach einem erneuten Blick hoch zur Queen. „Als oberstem Herrn des Haushalts steht es Ihnen jedoch frei, Bruno direkt diesen Befehl zu erteilen.“
Er klappte ein Buch auf. Darin führte der Earl wohl Tagebuch. Er trug mit seinem goldenen Queen-Elisabeth-Kugelschreiber den Befehl und seine Bedenken ein und bat mich, den Eintrag zu paraphieren. Ich spielte mit, obwohl ich den bürokratischen Aufwand für überzogen hielt, bedankte mich und wir drei gingen wieder zurück in mein neues Büro.
Wirklich als Sieger fühlte ich mich nicht. Die Firewall war nur offen, weil ich der König war, nicht weil ich Earl Binnester überzeugt hatte. In ein paar Minuten würde der Kurator Sir Frederick kommen und Simon und mir die Highlights der königlichen Sammlung zeigen. Doch nachdem ich schon einen der Pinguine extra aufgescheucht hatte, war ein Blick auf queer.de Ehrensache.
„London: Homo-Aktivist im Green Park verhaftet. Herber Rückschlag für die Homo-Rechte im Königreich. Nachdem der Aktivist trotz behördlichen Verbots an der Parade zum Einzug des neuen Königs in den Palast eine Regenbogenfahne gehisst hatte, nahm ihn die Polizei fest. Von unserem schwulen König Sascha war dazu bisher kein Wort zu erfahren. Wird auch er auch zur Klemmschwester, kaum dass er die Krone trägt?“
Die hatten Timm verhaftet. Das war ein so unerwarteter Schlag ins Gesicht, dass ich es im ersten Moment gar nicht begreifen konnte. Ich scrollte hinunter zu den Kommentaren der queer.de-Community.
Selbstverständlich schlug der erste Kommentar von braveboy in die gleiche Kerbe. „Habe ich es nicht gesagt? Erst der Community Hoffnungen machen und dann wegschauen, wenn wir in London verhaftet oder im Iran gehängt werden. In zwei Jahren heiratet er eine blaublütige Tussi und leugnet, dass er je einen Mann hatte. Damit man ihm das auch abkauft, wird er gegen Homo-Rechte sein. Kennen wir ja von Westerwelle, der hat den Homo-Schutz auch auf den 30. Februar vertagt, nur um Mutti Merkel zu gefallen.“
Wenn ich mich gekränkt fühlte, lief in meinem Hirn alles automatisch ab. User „SunnyGay“, Passwort „SimiBoy“, dann auf „Antworten“.
„Er hat noch gar nichts davon erfahren. Ist ja erst drei Stunden her, die Firewall musste er auch erst aufmachen lassen, um überhaupt eine schwule Nachrichtenseite ansehen zu können.“ Und schon war „Posten“ angeklickt.
Es dauerte keine Minute und da war bereits mein Posting mit einer -1 bewertet, dazu ein erneuter Eintrag von braveboy:
„Woher willst
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