Ploetzlich Shakespeare
dass du mich liebst...», hauchte Essex.
«Danke gleichfalls», erwiderte ich leise. Und dann küsste ich ihn. «Oh...mein... Gott!»
Die Lippen des Earls waren etwas rauer als die von Jan, aber ansonsten fühlten sie sich genauso an. Für wenige Millisekunden fühlte ich mich im siebten Himmel.
Es war die Hölle, und so schrie ich: «Ahhhhhhhhh!»
Shakespeares Schrei erschreckte mich, und so schrie auch ich laut auf:«Ahhhhhhhhh! »
Und Essex brüllte darauf ebenfalls: «Ahhhhhhhhh!»
Allerdings tat er dies weniger, weil ich < Ahhhhhhhhh> geschrien hatte, sondern wegen des Kusses.
«Du hast mich geküsst?!?!?!?!», rief der Earl entsetzt. «Was für ein übles Spiel treibst du mit mir?»
«Nun...» Ich suchte nach passenden Worten, fand aber keine.
«Sei still!» Er wankte jetzt immer unkontrollierter. «Ich müsste dich umbringen, du Wicht!»
Er wich weiter zurück, wollte seinen Degen ziehen, aber er stolperte gegen den Tisch. Dabei stieß er die brennende Kerze um, die auf die Papiere fiel und sie sofort in Brand steckte.
«Hamlet, die Komödie!», rief ich panisch.
«Unser Gedicht!», schrie ich.
«Das auch!»
Ich sprang sofort zum Tisch, wischte die Kerze beiseite und warf die brennenden Papiere auf den Boden. Um den Hamlet war es ja nicht so schade, Shakespeare müsste sowieso die Geschichte vom unentschlossenen Dänen nochmal als Tragödie aufziehen. Glück im Unglück war, dass ich durch diese Aktion unser angefangenes Gedicht retten konnte. Pech im Unglück war hingegen, dass das trockene Holz des Fußbodens ebenfalls schnell entflammte. Bevor ich mich's versah, stand ich in einem Ring aus Flammen.
30
Eins musste man diesen Häusern im alten England lassen: Sie brannten wie Zunder. Um mich herum loderten die Flammen, und ich geriet in eine unglaubliche Panik: Gleich würde ich verbrennen! In meinen Kopf schoss ein Anfangsbild aus einem Spielfilm über Johanna von Orleans, den ich mal gesehen hatte. Am Anfang des Films wurden Ketzer von Kirchenleuten verbrannt. Die Ketzer schrien und schrien, als die Flammen sie langsam und qualvoll auffraßen, und sie flehten dabei brüllend Gott an, dass er sie von den fürchterlichen Qualen erlösen solle. Als ich das damals sah, dachte ich drei Dinge: Erstens: Was für eine üble Art zu sterben. Zweitens: Diese Kirchenleute haben eine recht merkwürdige Auffassung von christlicher Nächstenliebe. Und drittens: Was für ein Gott lässt denn so etwas zu? Der Gott der üblen Scherze?
Jetzt war ich selbst von solchen Flammen umzingelt und hatte unbeschreibliche Angst, die gleichen Schmerzen erleiden zu müssen wie diese Ketzer. Und davor, dass ich gleich hier sterben würde und damit auch mein Gehirn und mein Körper in der Gegenwart. Gut, meine Seele würde wohl weiterziehen, so viel war ja mittlerweile klar. Sie würde ein neues Leben führen - hoffentlich nicht in Afghanistan, Bangladesch oder im Haushalt von Britney Spears. Die Seele war also halbwegs auf der sicheren Seite. Aber mein Geist, mein Bewusstsein, mein würde auf immer ausgelöscht werden! Dabei hatte ich doch immer noch nicht begriffen, was die war. Es wäre so unendlich traurig zu sterben, ohne je die wahre Liebe kennengelernt zu haben.
Die Flammen schlugen hoch, ich hielt mir die Arme vors Gesicht, um es zu schützen. Da hörte ich Essex schreien: «Tally-ho!»
Er sprang in die graue Decke gehüllt in den Feuerring, warf sie über uns beide, packte mich um die Hüfte und sprang wieder zurück. Meine Strumpfhose kokelte dabei zwar unten leicht an, aber die Decke schützte uns vor den Flammen. Essex hatte sie anscheinend vorher mit Wasser aus dem Krug, der beim Bett stand, übergossen - ich hoffte sehr, dass es sich dabei um einen Wasserkrug handelte und nicht um die Bettpfanne.
Essex war wie alle Männer der Armee: ein törichter Idiot. Jemand mit gesundem Menschenverstand würde nicht auf Befehl der Königin um die halbe Welt segeln und Menschen aus fremden Völkern den Kopf mit einer Axt einschlagen, nur um die Bananenfrucht nach England zu bringen. Doch manchmal war es gut, so einen mutigen Tor in der Nähe zu haben. Jetzt zum Beispiel! Hätte ich Essex - dank Rosa - nicht bereits geküsst, ich hätte es in diesem Augenblick sicherlich getan!
«Wir sind noch nicht gerettet», rief Essex mir zu. Er hob die Decke etwas hoch, damit wir unseren Weg herausfinden konnten, und ich sah, dass ein Holzbalken über uns schon Feuer gefangen hatte. Wir rannten los,
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