Ploetzlich Shakespeare
ächzte der dicke Mann.
«Rette ... Jan», stammelte ich.
«Wer ist Jan?», fragte Kempe irritiert.
Da wurde ich erneut ohnmächtig.
Als ich das nächste Mal aufwachte, lag ich auf der Straße dem brennenden Haus gegenüber, neben mir Essex, der immer noch bewusstlos war. Und vor mir stand der dicke Schauspieler, dessen Papageienweste jetzt ganz verrußt war.
«Du hast mir das Leben gerettet», flüsterte ich.
«Das ist schon eine Gewohnheit», erwiderte er.
«Eine Gewohnheit?»
«Es ist das fünfte Mal», grinste er.
«Wie bitte?»
«Ich habe mitgezählt. Das erste Mal war, als du dich umbringen wolltest.»
«Ich wollte mich umbringen?»
«Wegen dem Kummer, den deine Frau dir bereitet hat...»
Shakespeare hatte Liebeskummer wegen seiner Frau? Und er wollte sich deswegen sogar das Leben nehmen? Jetzt bekam ich richtig Mitgefühl mit ihm. Er war also tief im Herzen kein arroganter, Frauen verachtender Mensch, sondern seine Ablehnung gegenüber dem weiblichen Geschlecht hatte ihren Ursprung in einem großen Schmerz. Er war, wie ich schon vermutet hatte, eine verletzte Seele. Wie ich. Womöglich sogar mehr als ich, denn ich hatte mich wegen Jan nie umbringen wollen, sondern nur Jahre meines Lebens verschwendet.
Wo war Shakespeare überhaupt gerade? Er schwieg. Ich glaubte nicht, dass er verschwunden war, ich meinte seine Anwesenheit in meinem - sorry, in seinem - Körper noch irgendwie zu spüren. War er etwa noch bewusstlos?
«Das zweite Mal habe ich dir das Leben gerettet», redete Kempe weiter, «als du gegenüber dem Earl von Worcestershire die Vermutung geäußert hast, dass seine Eltern sicherlich Geschwister gewesen waren. Das dritte Mal, als die Äbtissin des Klosters von Cambridge dich erschlagen wollte, weil du zwei ihrer Nonnen gezeigt hattest, dass Askese ziemlicher Käse ist.»
Er lachte laut auf. Er hatte das gleiche herzerwärmende Lachen wie mein Freund Holgi, und er war für Shakespeare ein echt guter Freund, so wie Holgi es für mich war. Wie oft hatte er mich getröstet, wenn ich fertig war. Wie oft musste er mir dabei zusehen, wie ich mich wegen Jan in den Schlaf weinte. Wie oft musste er zu mir kommen, weil ich erst auf dem Klo feststellte, dass ich wieder mal vergessen hatte, Tampons einzukaufen.
Dafür riskierte Holgi zwar nicht sein Leben, verzichtete aber auf den ein oder anderen One-Night-Stand, der ihm sicherlich mehr Freude bereitet hätte, als den Verkäufer an der Tanke nach Tampons zu fragen. Und wie hatte ich ihm das gedankt? Nicht sonderlich. Ich hatte ihn immer als selbstverständlich angesehen, ihm nie gesagt, dass er mir auf seine Weise genauso viel bedeutete wie Jan. War es das, was ich über die wahre Liebe lernen sollte, dass es die Freundschaft ist?
«Das vierte Mal hab ich dich soeben gerettet», lächelte Kempe und unterbrach damit meine Gedanken.
«Ich dachte, das wäre das fünfte Mal gewesen.»
«Nein, das kommt jetzt, mein Freund.»
Ich blickte Kempe erstaunt an.
«Die Leute von Henslowe wollen dich umbringen. Phoebe hat ihrem Vater erzählt, du hättest sie entjungfert.»
«Das ist aber nicht wahr!», protestierte ich.
«Dann hast du jetzt den ganzen Ärger ohne vorherigen Spaß», lächelte Kempe gespielt mitleidig.
«Sehr witzig», pampte ich ihn an.
«Versteck dich im Theater», schlug Kempe vor.
«Werden die mich da nicht als Erstes suchen?», wollte ich wissen.
«Das haben sie schon getan, daher werden sie dort nicht nochmal hingehen. Und ich werde sie ein bisschen auf der Suche nach dir in die Irre führen, ins Bordell, wo einige von mir bezahlte Damen auf sie warten, um sie abzulenken ... und sie mit Syphilis zu erfreuen.»
«Du bist ein guter Freund», seufzte ich erleichtert den Satz, den ich eigentlich schon längst mal zu Holgi hätte sagen sollen. Da der aber nicht da war, drückte ich Kempe an mich. Ganz fest. Und ich hoffte, dass ich nochmal die Gelegenheit bekommen würde, Holgi auch so an mich drücken zu können.
«Du zerquetschst mich wie ein Ringer», sagte Kempe dröhnend lachend.
«Aus Liebe», erwiderte ich lächelnd, was ihn sichtlich erstaunte.
«Die Liebe von Ringern ist eine, deren Zeuge ich nicht werden möchte», schmunzelte Kempe.
Dann fiel mein Blick auf den immer noch bewusstlosen Essex. Er sah so hilflos aus, wie er da lag, voller Ruß und Brandlöcher.
«Was ist mit ihm?», fragte ich besorgt.
«Wir schleppen ihn mit ins .»
Als wir das Theater erreichten, wuchteten wir Essex auf die Bühne
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