Ploetzlich Shakespeare
da krachte der brennende Balken vor uns auf den Boden und versperrte den Weg. Hinter uns waren Flammen, vor uns waren Flammen. Und blöderweise auch neben und über uns. Es gab kein Entrinnen mehr!
Aber wenigstens würde ich in Jans Armen sterben. Wir waren uns nah in diesem Moment, körperlich zumindest. Gemeinsam kauerten wir unter der grauen Decke, und ich ignorierte den Umstand, dass diese wirklich ein bisschen streng nach Bettpfanne roch. Ich blickte in das Gesicht dieses wunderbaren Mannes, und ich konnte nicht anders: Ich küsste ihn nochmal auf den Mund.
So hatte ich mir meinen letzten Augenblick auf Erden wahrlich nicht vorgestellt!
Diesmal sah Essex mich nicht überrascht an und auch nicht entsetzt, sondern völlig verwirrt. Er wollte mich nicht töten für den Kuss, wie noch wenige Sekunden zuvor, er wirkte eher ... aufgewühlt? Fand er den Kuss etwa schön? Das konnte doch nicht sein, oder? Das wäre doch verrückt. Noch verrückter als alle anderen Dinge, die mir bisher passiert waren.
Aber vielleicht, ganz, ganz vielleicht könnte es ja doch sein, dass unsere beiden Seelen füreinander bestimmt waren und er dies in diesem Augenblick spürte, obwohl ich mich in einem Männerkörper befand. Womöglich war ja nicht ich die Kreislaufstörung in der ewigen Liebe zwischen (an und Olivia. Vielleicht war ja Olivia diejenige, die die ewige Liebe zweier füreinander bestimmter Seelen immer wieder torpedierte? Der Seelen von Jan und mir?
Ich musste es einfach wissen und küsste Essex nochmal sanft auf die Wange.
Er wusste nun gar nicht mehr, wie er reagieren sollte.
Etwas in ihm fühlte sich definitiv zu mir hingezogen.
Und das ließ mich - trotz der unfassbaren Hitze um uns herum - wohlig erschaudern.
Auch Essex hatte sich seine letzten Momente auf Erden gewiss nicht so vorgestellt.
Es war ein fast schon romantischer Augenblick, blöd nur, dass die Flammen um meine Füße herumzüngelten. Die Hitze da unten wurde unerträglich. So sehr, dass ich auf und ab hüpfen musste, um den Flammen auf den Boden zu entkommen. Essex tat es mir gleich. Und so sprangen wir auf und ab wie Griechenland-Touristen, die in der Mittagshitze am Badestrand ihre Latschen vergessen hatten. Das Feuer sengte meine Strumpfhose an, sie wurde bereits schwarz, jeden Augenblick würde ich verbrennen. Ich hüpfte panisch höher und höher. Das alles hatte nun rein gar nichts mehr mit Romantik zu tun, sondern nur noch etwas mit Gedanken wie: < Wäre ich mal doch lieber mit Axel in die Kiste gestiegen statt zum Hypnotiseur in den Wagen. >
Unter dem Knistern der Flammen hörte ich auf einmal ein Knacken. Es stammte von dem verkohlten Holz unter unseren Füßen - dank unserer panischen Sprünge gab der Boden langsam nach.
«Wir müssen aufhören zu springen!», sagte ich panisch zu Essex.
«Dann verbrennen wir», erwiderte er.
«Aber wir brechen sonst durch den Boden.»
Kaum hatte ich das gesagt, krachten wir auch schon durch den Boden. Wir befanden uns im freien Fall, und ich schrie dabei Essex ins Ohr: «HILFEEEEEEEE!»
Wir schlugen hart auf dem Boden der kleinen Wohnung unter uns auf, aus der die Bewohner anscheinend schon längst vor den Flammen geflohen waren. Dabei landete ich direkt auf dem armen Essex, der dadurch meinen Fall abfederte. Dennoch schrie ich ihm weiter ins Ohr: «EEEEEEÜ!»
Ächzend und hörbar mit Schmerzen erwiderte er: «Hören Sie auf zu schreien, sonst werde ich noch ... Heiliger Mist!»
«Du wirst ?», fragte ich verdutzt.
«Nein», erwiderte er und deutete nach oben. «Die Decke wird gleich auf uns niederschmettern. Deswegen rief ich .»
«Heiliger Mist», bestätigte ich mit Blick auf eine brennende Holzplanke, die sich soeben gelöst hatte!
Essex nahm geistesgegenwärtig Schwung und rollte mit mir zur Seite, während nur einen halben Meter neben uns die Planke aufprallte.
Jetzt war es Essex, der auf mir lag. Und ich sah ihn, meinen Retter, erneut verliebt an, was ihn sichtlich irritierte: «Ich wäre dir sehr verbunden, wenn du mich nicht andauernd so ansehen würdest.»
«Stört dich das?», fragte ich.
«Überraschenderweise nicht...», erwiderte er leise.
Aber mich störte es!
«Irgendetwas zieht mich zu dir...», stammelte Essex völlig verwirrt und sah mich dabei doch tatsächlich fasziniert an. Wäre ich in einem Frauenkörper gewesen, hätte er mich in diesem Augenblick garantiert geküsst. Mein Herz schlug wie wild, denn es gab kein
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