Ploetzlich verliebt
zuckende Schulter.
Sie rührte sich nicht.
»Was ist denn los?« Luna sah ganz zerknirscht aus. »Wenn ich dich mit dem Rap irgendwie verletzt habe, dann tut es mir leid. Das war doch nur so ⦠ich meine, du kennst mich doch, ich â¦Â« Luna brach ab.
»Marli, bitte, sieh uns doch an«, bat ich. Und wünschte mir in der nächsten Sekunde beinahe, es nicht getan zu haben.
Als Marli das Gesicht hob, sah ich, wie Tränen über ihre Wangen liefen, ihre Lippen bebten und das Lila ihrer Augen war ganz trüb. Aber das war nicht das Schlimmste. Das Schlimmste war ihr Blick, er war so ⦠unendlich traurig.
»Marli?«, flüsterte Luna.
»Es ist â¦Â« Marli wischte sich mit einer energischen Handbewegung die Tränen aus den Augen. »Manchmal, wenn wir drei zusammen sind und ich euch so reden höre und alles â¦Â«
»Ja?« Ich hatte noch immer keinen blassen Schimmer, worum es genau ging.
»Und wenn ich dann weiÃ, dass ihr später nach Hause geht â¦Â«
»Dann?«, fragte Luna.
Marli sah erst mich lange an und dann Luna. »Mann, sie fehlt mir einfach so. Ich halte es manchmal fast nicht aus, so allein fühle ich mich.«
Oh.
»Ihr kommt nach Hause und da warten eure Mütter auf euch. Und auf mich wartet niemand.« Sie holte zitternd Luft. »Klar habe ich meine Tante, aber das ist was ganz anderes. AuÃerdem ist die gerade ein richtiger Kontrollfreak. Ich vermisse einfach meine Mutter so sehr.« Ihre Stimme klang irgendwie rau und heiser. Als hätte sie Halsschmerzen und jedes Wort würde ihr wehtun. »Dabei kann ich mich gar nicht mehr richtig an sie erinnern. Ich war ja erst drei, als sie starb. Wie kann man jemanden so furchtbar vermissen, den man eigentlich gar nicht kennt?« Sie atmete ein paar Mal durch. »Seit wir befreundet sind, muss ich fast ständig an sie denken. Als ich den Stammbaum zum Beispiel gemalt habe ⦠Mann, da sind so viele Fragezeichen. Ich weià so wenig über meine Familie und ⦠meine Mutter.«
Mein Herz wurde schwer, ungefähr so schwer wie alle zweiundfünfzig Shini -Ausgaben zusammen.
Marli richtete sich etwas auf und strich über ihre Stirntolle. »Früher habe ich mir immer vorgestellt, dass sie eines Tages einfach vor der Tür steht und alles nur ein groÃer Irrtum war. An meinem Geburtstag vielleicht oder an Weihnachten. Oder als ich im Schultheater einen Baum gespielt habe.«
Sie lachte leise und ich schwöre, ich habe nicht gewusst, dass ein Lachen so verloren klingen kann. Ich werde nicht weinen, ich werde nicht weinen, dachte ich die ganze Zeit, während ich ihre Hand streichelte und durch die Baumwipfel in den Himmel schaute, wo der Wind die Wolken vor sich herpustete.
»Manchmal bekomme ich keine Luft, weil ich mir so sehr wünsche, dass sie mich nur ein einziges Mal anlächelt und in den Arm nimmt. Damit ich mich wieder daran erinnere, wie es sich anfühlt. Ich möchte so gern wissen, wie sie gerochen hat und ob ich ihr ähnlich bin. Es ist einfach ⦠es fehlt einfach immer was.« Sie sah so hilflos auf. »Immer, das geht nie weg. Versteht ihr?«
Wir nickten zwar, aber natürlich konnten wir es nicht wirklich verstehen. Wie soll das denn gehen bei so etwas Schrecklichem? Meine Mutter nie wiedersehen?
Nie wieder?
Das ist so furchtbar lang.
Ich meine, meinen Vater habe ich zwar auch noch nie gesehen â aber der lebt wenigstens noch. Und somit besteht zumindest die vage, sehr vage Möglichkeit, ihn irgendwann einmal zu treffen. Was ich aber nicht vorhabe, ich bin nämlich stinksauer auf ihn, weil er sich nach meiner Geburt einfach so aus dem Staub gemacht hat.
Na ja und ich hab ja auch noch Onkel Frank.
Ich sah Tränen in Lunas Augen und dann erst merkte ich, dass mein Gesicht auch schon ganz nass war.
Wir sagten lange nichts mehr, hockten rechts und links neben Marli auf dem Waldboden und weinten zusammen. Ich schlang einen Arm um ihren Hals, Luna legte den Kopf auf ihre Schulter.
Als Luna und ich nach Hause kamen, blieben wir einen Moment im Garten stehen. Die Zweige des Birnbaums bogen sich im Abendwind, unser Baumhaus ragte schemenhaft in den Himmel. Keine Ahnung, wie viele Stunden Luna und ich insgesamt dort schon zusammen verbracht hatten, nebeneinander auf der Matratze ausgestreckt, uns unsere geheimsten Wünsche erzählend.
»Müssen wir unbedingt mal wieder machen«, murmelte
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