P.M. Manetti lesen oder Vom Guten Leben
Thomas Schneider?«
»Den Superlektor – klar, seit Jahren. Gerade vor einer Woche habe ich ihn noch getroffen. Da war auch Hugo Loetscher – aber den kenne ich persönlich nicht.«
»Haben Sie je etwas veröffentlicht?«
»Ja, einen Roman.
Ovalau
– unter dem Pseudonym George Williams. Thomas Schneider war damals mein Lektor. Hatsich total verhauen – das Buch musste praktisch vom Start weg makuliert werden.«
»Mein Beileid. Nie davon gehört – worum ging es denn?«
Sie wollte mich aufs Glatteis führen. Aber ich war vorbereitet. Ich holte weit aus, um ihr den Plot zu erklären.
»Schon gut«, stoppte sie mich, »das
klingt
wie ein Roman, den niemand lesen würde. Ich verstehe auch, warum Sie ihn nicht unter Ihrem wirklichen Namen veröffentlichen wollten.«
»Es hätte kaum schaden können.«
»Umso mehr, als auch Isidor Müller nicht Ihr wirklicher Name ist.«
»Namen sind reiner Zufall.«
Sie ließ das durchgehen. »Kennen Sie Doris Mettler?«
Ich durchforstete mein Gedächtnis – da gab es eine Doris, aber keine Mettler.
»Nein.«
Sie blickte mich forschend an. »Sie kennen Doris Mettler nicht?«
»Ich kenne ein paar Dorisse, aber keine Mettler. Einen Clemens.«
Sie schüttelte den Kopf. »Nun, wenn Sie Doris Mettler nicht kennen …«
Dann war wahrscheinlich alles verloren. Dann war ich ein Niemand, ein hoffnungsloser Fall, ein Mensch ohne richtige Connections. Andererseits. »Und Sie, kennen Sie Erich Jäger?«
Sie runzelte ihre eher niedrige Stirn.
»Sagt mir gar nichts«, sagte sie.
»Eben. Da haben wir’s. Ich kenne Doris Mettler nicht, und Sie wissen nicht, wer Erich Jäger ist.«
»Vielleicht war er vor meiner Zeit unterwegs.«
Ein ganz gemeiner Seitenhieb. Ich war wohl zwanzig Jahre älter als sie. Ich war ein Dinosaurier, hatte noch persönlich mit Triceratopsen und Velociraptoren Verstecken gespielt.
»Na gut, eins zu eins«, sagte sie, »ich habe Doris Mettler erfunden.«
»Und ich Erich Jäger, obwohl es einen Carlo Jäger gibt …«
»Den kenne ich aber auch nicht.«
»Der war vor Ihrer Zeit. Ich habe noch mit ihm zusammen Mammuts gejagt. Damals gab es noch Soziologen.«
Wirklich wahr.
Der Platz belebte sich immer mehr. Eine Band begann zu spielen. Unsere Gläser und Teller waren leer.
»Ehrlich gesagt versteh ich nicht, worauf Manetti hinaus will«, schrie Nora Nauer mir entgegen.
»Sie haben auch erst knapp die Hälfte gelesen. Wenigstens sind Sie noch nicht verschwunden.«
»Wohin soll ich denn verschwinden?«
»Grönland?«
»Gehen wir ins Restaurant. Bei Ugo gibt’s die besten Pappardelle al Cinghiale«, schlug sie vor.
Das war mir auch recht, denn ich hatte Hunger bekommen.
Wir schlenderten durch die Hauptgasse, bogen dann in ein Seitengässchen ein und betraten ein Restaurant mit Aussicht über die Küstenebene. Da wir früh dran waren, bekamen wir einen Fenstertisch. Die Karte schlug wieder diverse Bruschette vor, aber auch Lardo und Soppressata. Verschiedene Sorten Pappardelle, ein Kalbsbraten, Fisch, Geflügel.
»Die Soppressata«, sagte ich, »und die Pappardelle.«
»Kein Secondo?«
»Vielleicht diese Rognoni.«
Sie blickte mich verwundert an. »Interessante Wahl, hauptsächlich Schlachtabfälle.«
»Ich bin praktisch ein Passiv-Fleischesser.«
Sie nahm gebratene Auberginen, Zitronenravioli und gemischten Salat. (Also war ich auch noch ein passiver Vegetarier: Ich musste ihr beim Nicht-Fleischessen zuschauen.)
Dazu einen der guten lokalen Weine.
»Kennen Sie Elsa Manetti?«, fragte sie mich weiter aus.
»Nein. Ich habe nur von ihr gehört. Sie soll im Kunstbereich tätig sein.«
»Sie ist eine phantastische Frau, voller Energie, ein Motor des Kunstbetriebs.«
»Sie ist reich, das gibt Energie.«
»Ich habe mit ihr die ersten Interviews gemacht. Sie wollte auch, dass ich die Manetti-Leser-äh-Innen interviewe.«
»Stimmt, ihr Name tauchte immer wieder auf. Und wie sind Sie dazu gekommen?«
»Durch Peter von Matt.«
»Den Literaturprofessor.«
»Bei ihm hatte ich studiert. Vor allem Max Frisch hatte mich fasziniert. Haben Sie ihn je getroffen?
»Nein, ich habe ihn nie gesehen, nur seine Bücher gelesen.«
»Aber Sie hätten ihn noch sehen können …«
»Ich hielt es nicht für wichtig. Er war für mich ein bürgerlicher Schriftsteller, ein aufgeklärter Bürger. Man musste natürlich froh sein um solche Leute, aber ich war damals nicht in der Stimmung dafür. Ich wollte nicht froh sein. Ich wollte theoretisch weiterkommen, und
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