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P.M. Manetti lesen oder Vom Guten Leben

P.M. Manetti lesen oder Vom Guten Leben

Titel: P.M. Manetti lesen oder Vom Guten Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
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ein richtiges Generationengefühl entwickelten wir nicht. Unsere Elterngeneration hatte es uns leicht gemacht. Wir waren sozial kompetent, wie man das wohl nennt. Wir konnten genauso gut Putzpläne in WGs diskutieren wie höfliche Konversation bei offiziellen Anlässen machen. Es gab keine bürgerliche Muffigkeit mehr zu knacken wie bei euch.«
    »Das einfache Protestpotenzial war erschöpft. Jeans und lange Haare, Krawatten, Heiraten, Siezen …«
    »Allerdings«, wandte sie mit erhobenem Zeigefinger ein, »kamen gerade die erwähnten Formen wieder auf, aber nur als Formen. Man konnte kurze Haare tragen, dunkle Anzüge und Krawatten, oder klassische Kleider …«
    »Waren das nicht mehr als nur Formen? Sie als Germanistin …«
    »Form follows function. Sie haben recht – es hatte einen konservativen Rückfall gegeben, Rita Vischer beschreibt das ja sehr schön. Es hatte eine Niederlage gegeben. Und das Komische dabei war, dass wir den Eindruck hatten – haben –, dass ihr über diese Niederlage ganz glücklich seid. Ich spüre weder Trauer noch Wut.«
    »Wut und Trauer gab es nur bis 1980, danach gab es nur noch: Macht, was ihr wollt. Einige von uns waren eher eingeschnappt, beleidigt, dass man unsere tollen Ideen nicht akzeptierte. Aber die waren gar nicht so toll, die meisten unklar, nicht praxisreif. Und passen Sie auf mit dem ›ihr‹, da gibt es viele verschiedene ›ihr‹. Es brauchte noch den Zusammenbruch der Sowjetunion, den Aufbruch zur täglichen Banane in der DDR …«
    »Das mit der Banane ist unfair. Das war wirklich ein totalitäres Regime.«
    »Stimmt, unfair, ich bin wieder einmal beleidigt. Aber nicht eigentlich wegen der DDR. Wir hatten den sowjetischen Staatskapitalismus schon gleich ab 1968 kritisiert, mit trotzkistischen Analysen, anarchistischen, antiautoritären, maoistischen, radikaldemokratischen. Es war aber Kalter Krieg, die USA hatten gerade den Putsch der Obersten in Griechenland unterstützt. Stellen Sie sich vor: Griechenland stand davor, eine linke Regierung zu wählen, und die USA drehen den Demokratiehahn einfach zu. Dann der Krieg in Vietnam. Wieder unterstützten die USA ein autoritäres Regime. Klar war der Vietcong traditionell und grob staatskapitalistisch, keine neuen Ideen in Sicht. Hat sich dann ja auch gezeigt, wie schnell sich diese Herren mit dem Feind USA handelseinig wurden. Unsere Unterstützung galt immer dem vietnamesischen Volk – aber das lief halt doch auf die Unterstützung des Vietcong, Chinas und der Sowjetunion heraus. Es ist wie beim Fußball: Es gibt nur zwei Teams. Wenn du das eine nicht unterstützt, dann eben das andere. Die ganze Politik war in diese geisttötende Schraubzwinge geklemmt. Die eigentlichen Fragen konnten gar nicht angegangen werden. Es ist das Verdienst der Bewegung in der DDR, dass diese Schraubzwinge einfach gelöst wurde, nicht von uns, sondern von ihnen. Ihr Leidensdruck war ja auch größer, das ist klar. Dank all der weltweiten Ausbeutung – woher kommen die Bananen eigentlich? Unter welchen Bedingungen werden sie produziert? – war die Lage des westlichen Proletariats immer komfortabler gewesen. Wieso sollten sich unsere Freunde in den Oststaaten abmühen, einen demokratischen Sozialismus oder einen dritten Weg à la Šik oder einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz aufzubauen, während wir nur so ein bisschen mit Kultur und radical chic herumspielten? Warum sollten sie für uns die Utopien realisieren, während wir uns an Open Airs vergnügten, Computer kauften und die Strände Thailands belegten?«
    »Ihr wart nicht seriös, warum sollten wir es sein?«
    »Ihr könnt seriös sein, ganz ohne zusätzliche Anstrengung.
    Alle wichtigen Themen liegen jetzt auf dem Tisch, ohneideologische Belastungen. Alle Regimes und Systeme sind gleichmäßig blamiert. Wenn man einmal weiß, was Kapitalismus ist, kann man das Wort streichen.«
    »Sie reden wie Rita Vischer. Aber die ist jetzt verschwunden. Was heißt das?«
    Ich kümmerte mich um meine Pappardelle. Sie sind immer schwierig zu handhaben, rutschen von der Gabel, wollen nicht ins Maul.
    »Sie hat mir noch gesagt, dass sie bis 65 in der Politik weitermachen wolle. Sie hatte noch Ideen, Projekte. Sie fühlte sich nützlich, voller Energie. Keine Spur von Ausstiegsphantasien. Sie wirkte fröhlich, mit ihren runden Wangen und den rot gefärbten Haaren. Kinder aus dem Haus, Mann Mittelschullehrer, Genossenschaftswohnung im Rietli, Häuschen in Südfrankreich.«
    »Ich dachte, sie

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