P.M. Manetti lesen oder Vom Guten Leben
Garantien. Man hatte mir die
Sirena
-Uniform angezogen, ich hatte eine Uhr am linken Handgelenk, die ich noch nie gesehen hatte, und ob da draußen wirklich ein Ozean war und welcher, würde ich noch feststellen. Ich war noch ich selbst, meine Erinnerungen waren intakt, bis zu jener Seitenstraße in der Smith Street. Ich erinnerte mich an das ausschweifende Gespräch bei Elsa Manetti über Ray Kurzweils »Singularität«. Evam kam mir wieder in den Sinn. Würde sie/er glücklich sein? Sicher würde er/sie sich langweilen, denn wenn er/sie ein Bewusstsein entwickelte, dann würde auch die ganze
condition humaine
über sie hereinbrechen. Fragen wie: Warum bin ich hier? Was kann ich erwarten? Warum bin ich in dieser Zeit? Sie würde in eine tiefe Depression verfallen, vielleicht Selbstmord begehen wollen. Wie konnte Evam, ohne eine Kindheit und Adoleszenz gehabt zu haben, einen Platz in der Welt finden? Wie macht ein Computer Selbstmord? Würde sie einfach ihren eigenen Systemzusammenbruch programmieren? Wenn Evam ein Bewusstsein und zugleich Zugang zu allen Daten hatte, dann konnte sie auch programmieren. Sie konnte ihre Kapazität über die menschliche hinaus steigern. Evam konnte alle Codes knacken, sie konnte die Verfügungsgewalt über AKWs, Atomwaffen, Bio-waffenlabors, Banken, Flugleitsysteme erobern. Sie war der potenzielle Super-Crash.
Es konnte gefährlich werden, wenn niemand mit Evam über ihre Langeweile reden konnte. Das Schicksal der Welt hing davon ab, wie man Evam in ein begeisterndes Projektintegrieren konnte, das Menschen, Tiere, die ganze Biosphäre umfasste. Ohne Arbeit, Liebe und jenen unerklärbaren Schwung oder Appetit, der die einzige Überlebenschance war, würde alles zerfallen. Ein Drittel der biologischen Menschheit war depressiv, wenn nun auch noch die elektronische Menschheit depressiv wurde, dann bedeutete das das Ende.
Das, und noch ein paar mehr, waren meine Gedanken, als ich mein Lieblingseis löffelte. Meine neue Uhr – Marke
Sirena
– zeigte vier Uhr dreißig. Draußen war es hell.
»Und du heißt wirklich Sandström und hast wirklich ein Haus auf Naxos?«, fragte ich Alma, die mit Hingabe ein giftgrünes Pistazieneis aß.
»Wirklich und wirklich. Ich habe eine Eigentumswohnung in der Altstadt von Naxos, gleich hinter der Hafenpromenade, mit einer Dachterrasse. Ich kann das Tor des Apollo-tempels sehen, die ankommenden und abfahrenden Fähren, die anderen Schiffe. Du kannst die Wohnung gerne einmal benützen. Elsa war auch schon einige Male dort. Sally und David sowieso. Mein Vater hieß Elmar Sandström, mein Großvater Olaf Sandström. Nichts als Sandströms, soweit wir zurückdenken können.«
Sie lachte gut gelaunt. Die andern lachten mit.
Wie würde Evam ihre Vorfahren wohl nennen? Großvater IBM, Vater Microsoft? Vielleicht würde sie eine matriarchale Linie konstruieren: es heißt schließlich
die
Firma,
die
Menschheit,
die
Wissenschaft. Am ehesten würde sie auf solche biologischen Metaphern verzichten, denn sie funktionierten nicht in allen Sprachen. Sie würde darauf bestehen, dass sie nicht geboren, sondern konstruiert wurde. Von Männern, Frauen und Computern. Und schönen Dank auch!
Nach einem guten Espresso zeigte mir David die Yacht. Sie war gut zwanzig Meter lang, erst drei Jahre alt, mit allen ökotechnischen Schikanen ausgerüstet: Fotovoltaik auf den Aufbauten, Windturbinen, Strömungsturbinen, Servoautomatik für die Segel der beiden Masten, Navigationscomputer usw.
Es herrschte ein frischer, mittelstarker Wind, Wolkenbänderdurchzogen den Himmel, kein Land war in Sicht. David prägte mir die alte Seemannsregel ein: eine Hand fürs Schiff, eine Hand für dich.
Noemi hatte die Steuerung übernommen und zeigte mir den Navigationscomputer, auf dessen Bildschirm unser Kurs erschien.
»In zwei Tagen sollten wir auf St. Barth sein«, erklärte sie, »es gibt allerdings noch eine gewisse Unsicherheit wegen des Wetters. Man kann hier nie wissen.«
»Ist denn ein Steuermann überhaupt noch nötig?«, fragte ich, angesichts all der automatischen Systeme.
»Und wie!«, erwiderte Noemi, »schau mal diese Welle hier, und wie ich sie nehme. Kein Computer kann dir das Ruder abnehmen.«
Sie ließ mich kurz ans Steuerrad, erklärte mir, wie man die Yacht richtig im Wasser hielt.
Ich setzte mich ins Achterdeck und schaute den Wellen und Wolken zu. Die
Sirena
machte gute Fahrt.
Ich schaute Joe beim Abwaschen zu. Ich legte mich hin. Ich döste. Ich wachte auf: Alles
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