P.M. Manetti lesen oder Vom Guten Leben
Computerindustrie, die mich gekidnappt hatte, und nicht Elsas Organisation? Oder hatte mich Evam selbst »herausgenommen«? Würde ich den Rest meines Lebens auf einer Yacht auf den Ozeanen der Welt verbringen müssen? Ein neuer Nemo? Ein Gefangener Neminis alias Evams? Oder war Elsa eine von Evams Avatarinnen? Oder ich selbst?
Da ich aufwachte, nahm ich an, dass ich eingeschlafen sein musste. Ich fühlte mich wiederhergestellt.
Ich stand auf und verließ meine Kajüte. Mein Gang war noch etwas unsicher, aber das konnte auch das Schwanken des Schiffs im Meer sein.
Die
Sirena
war geräumig und komfortabel. Durch einen Mittelgang erreichte ich einen großzügigen Aufenthaltsraum, wo vier Menschen um einen Tisch herum saßen und ein Brettspiel spielten. Irgendwelche Schumann-Etüden bildeten einen akustischen Hintergrund: ein Bild des Friedens und der Harmonie.
Alma Sandström erkannte ich sofort, die drei andern waren mir neu.
»Paul!«, rief Alma freudig aus, umarmte mich und stellte mir die andern vor.
Joe war ein sanfter Riese mit Kahlkopf und dickem schwarzen Bart – er hatte mir den gut dosierten Schlag auf den Hinterkopf, den er nun zärtlich tätschelte, versetzt.
»Tut mir leid, aber es musste schnell gehen. Ich hoffe, du hast nicht zu sehr gelitten.«
»Der Schmerz war ideal – gut spürbar, aber nicht übermäßig belastend. Genauso wie Schmerz sein soll. Perfekt.«
Wie alle andern (und ich) trug er das weiße Polohemd mit dem Logo der
Sirena
in einer gediegenen lilafarbigen Serifenschrift.
Noemi war eine eher kleine, sportliche, gut gebräunte Blondine mit Pferdeschwanz. Sie studierte Agronomie an der Columbia University.
Ihr Freund Harry war ein freundlicher Mann mit blondem Kinnbart und dicker Brille. Er war gelernter Schreiner und aktiv im Urban and Rural Gardening (U&RG). Beide waren ganz enthusiastisch, weil sie Dinge taten, die unmittelbar nützlich waren.
Das Spiel, das sie spielten, hieß Alívio. Es ging darum, durch eine Mischung von Kooperation und schlauer Überlistung stabile Gemeinschaften aufzubauen. Noemi und Harry hatten es entworfen – es war das fünfte Testspiel.
»Joe ist am Gewinnen«, berichtete Harry.
»Aha, man kann gewinnen«, wunderte ich mich.
Ich hatte mich inzwischen hingesetzt und studierte das Spielbrett. Was ich sah, war eine mittelgroße Stadt, umgeben von Bauernhöfen. Das Ganze sah sehr attraktiv aus und erinnerte mich sofort an die
association
.
»Joe hat einen natürlichen Instinkt für Öko-Bilanzen«, sagte Noemi.
Dieser grinste breit und verschob ein paar farbige Spielelemente. Ich versuchte, aus dem Spiel schlau zu werden. Bevor die Kopfschmerzen sich wieder verstärkten, meldete ich mich ab und legte mich in meine Koje.
Durch ein Bullauge sah ich, wie wir durch den Atlantik sausten. Die Yacht lag gut im Wind. Ich fühlte mich wohl und geborgen. Es waren nette Leute, die mich da entführt hatten. Ich war für mein Schicksal nicht mehr verantwortlich. Man hatte mich »herausgenommen«. Die Fragen blieben allerdings: Wer waren meine Entführer, für wen arbeiteten sie?
Als ich wieder geweckt wurde, holte mich David zum Essen in den Salon.
»Joe hat seinen Gumbo gekocht«, meldete er.
Nun fehlten Harry und Noemi, offenbar hatten sie jetzt Schicht.
Es war eine freundliche Runde um einen ovalen Tisch herum. Joes Reispfanne mit Fisch und Crevetten schmeckte herrlich, das kalte Bier ebenso.
»Wie geht’s?«, fragte Sally, auf meinen Hinterkopf zeigend.
»Nur noch ein leichter Druck. Ich bin bereit für den nächsten Schlag.«
Sie grinsten säuerlich.
»Seit wann seid ihr mir eigentlich auf den Fersen?«
»Seit immer«, antwortete Alma Sandström, »Thomas hatte uns schon vorgewarnt, denn er betrachtete dich als eine Gefahr für unsere Operation.«
»Und wer hat uns die italienische Polizei auf den Hals geschickt?«
Alma gab gerne Auskunft. »Als der Fall Rita Vischer akut wurde, kam die Polizei ins Spiel. Christian Vischer hatte Connections zur Zürcher Polizei. Suvereto kam zur Sprache, der Zürcher Kollege schickte Mario Barossi vorbei. In Apt nahm er Kontakt mit Grondin auf und so weiter. Ein paar Tage früher hätten wir dich noch mitnehmen können, aber mit deinem Polizeischweif warst du sozusagen kontaminiert.«
»Und was ist mit Marcel Lüthi?«
»Den konnten wir schon in Lissabon herausnehmen«, antwortete Sally, »niemand kümmerte sich um ihn.«
»Dann seid ihr also Elsas Geheimpolizei?«
Sie lachten.
»Wir sind Amateure«,
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