Poirot Rechnet ab
glaube ich nicht. Laut Befehl sind alle Häfen geschlossen worden.«
Als wir anlegten, brach gerade der Tag an. Major Norman berührte Poirots Arm. »Ein Militärauto wartet hier auf Sie.«
»Danke Ihnen, Monsieur. Aber im Augenblick habe ich nicht die Absicht, Boulogne zu verlassen.«
»Waas?«
»Nein. Wir wollen zuerst in dieses Hotel hier am Kai gehen.«
Wir drei folgten ihm verwirrt. Wir verstanden ihn nicht. Er fragte nach einem Privatzimmer und bekam es.
Er sah uns mit einem schnellen Blick an. »Ich weiß, was Sie denken, meine Herren. Ein guter Detektiv sollte handeln, nicht wahr? Er sollte voller Energie sein. Er sollte hierhin und dorthin stürzen, er sollte sich auf die staubige Straße legen und mit einem Vergrößerungsglas die Spuren der Autoreifen untersuchen. Er sollte die Zigarettenkippen aufsammeln und die weggeworfenen Streichhölzer. So sieht Ihre Vorstellung aus, nicht wahr?«
Er blickte uns herausfordernd an. »Aber ich – Hercule Poirot – sage Ihnen, das ist die falsche Methode! Der Schlüssel zum Erfolg ist hier!« Er tippte an seine Stirn. »Ich hätte London nicht zu verlassen brauchen. Es wäre besser gewesen, dort still in meiner Wohnung zu sitzen. Mehr als die kleinen grauen Gehirnzellen hier drin ist nicht nötig. Heimlich und still tun sie ihre Arbeit und veranlassen mich, plötzlich nach einer Karte zu greifen und zu sagen: Der Premierminister ist hier! Mit Methode und Logik muss man arbeiten! Diese wilde Fahrt nach Frankreich war ein Unsinn. Wir spielen doch nicht wie die Kinder ›Hasch mich‹! Aber jetzt, obwohl es vielleicht schon zu spät sein mag, werde ich mich auf die richtige Weise an die Arbeit machen. Ich werde denken. Ich brauche Ruhe, meine Freunde! Ich bitte Sie darum.«
Fünf lange Stunden saß der kleine Mann bewegungslos; er blinzelte mit den Augenlidern wie eine Katze, seine grünen Augen flackerten und wurden ständig grüner. Der Scotland-Yard-Mann verachtete ihn sichtlich. Major Norman war gelangweilt und ungeduldig, und mir selbst kam es vor, als schliche die Zeit unendlich langsam. Schließlich stand ich auf und ging so leise wie möglich ans Fenster. Die Angelegenheit begann mulmig zu werden. Im Geheimen war ich um meinen Freund besorgt. Wenn er schon Schiffbruch erlitt, wäre mir das auf eine weniger lächerliche Art lieber gewesen. Durchs Fenster beobachtete ich die am Kai liegenden Boote. Plötzlich erschreckte mich Poirots Stimme.
»Meine Freunde, es geht los!«
Ich drehte mich um. Poirot hatte sich ungewöhnlich verändert. Seine Augen glänzten erregt, und er atmete heftig.
»Oh, was für ein Dummkopf war ich doch! Endlich ist mir ein Licht aufgegangen.«
Major Norman ging zur Tür. »Ich werde den Wagen bestellen.«
»Das ist nicht nötig. Ich werde ihn nicht brauchen. Gott sei Dank ist der Wind abgeflaut.«
»Wollen Sie etwa sagen, dass Sie zu Fuß gehen wollen?«
»Nein, mein junger Freund. Ich bin nicht der heilige Petrus. Ich möchte die See lieber auf einem Schiff befahren.«
»Die See befahren?«
»Ja. Um methodisch zu arbeiten, muss man am Ausgangspunkt beginnen. Und der Ausgangspunkt der Geschichte lag in England. Daher kehren wir jetzt nach England zurück.«
Um drei Uhr standen wir wieder auf dem Bahnhof von Charing-Cross. Für unser Jammern und Klagen hatte Poirot auf der Fahrt nur taube Ohren gehabt. Immer wieder hatte er beteuert, es wäre kein Zeitverlust, sondern der einzig richtige Weg, wenn man am Ausgangspunkt anfinge. Unterwegs hatte er sich mit leiser Stimme mit Norman unterhalten, und dieser hatte von Dover eine Menge Telegramme abgesandt. Auf Grund unserer besonderen Papiere, die Norman vorzeigte, kamen wir überall in Rekordzeit durch. In London erwarteten uns ein großer Polizeiwagen und einige Beamte in Zivil. Einer von ihnen übergab meinem kleinen Freund ein eng beschriebenes Blatt. Ich sah Poirot fragend an. »Ein Verzeichnis der Landkrankenhäuser westlich von London. Ich forderte es telegrafisch aus Dover an.«
Wir sausten durch die Straßen Londons. Jetzt waren wir auf dem Weg nach Bath. Wir fuhren weiter durch Hammersmith, Chiswick und Brentford. Langsam begriff ich, wohin die Reise ging. Durch Windsor und weiter nach Ascot. Mein Herz machte einen Sprung. In Ascot lebte die Tante von Daniels. Also verfolgten wir ihn und nicht O’Murphy.
Wir hielten am Tor einer hübschen Villa an. Poirot sprang aus dem Wagen heraus und läutete. Seine Miene verdüsterte sich; er sah unzufrieden aus. Schließlich
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