Poirots erste Fälle
Ich bin so schwach, dass ich ohne Hilfe nicht viel umhergehen kann. Und wenn man die leere Flasche in meinen Räumen gefunden hätte, wäre das vielleicht verdächtig gewesen. Monsieur‹, sie ric h tete sich auf, ›ich wollte keinesfalls den Verdacht auf Saint Alard le n ken. Das wäre mir nicht einmal im Traum eingefallen. Ich dachte, sein Diener würde die leere Flasche finden und wegwerfen ohne zu fragen.‹
Ich neigte den Kopf. ›Ich verstehe, Madame.‹
›Und Ihre Entscheidung, Monsieur Poirot?‹
Ihre Stimme klang fest, verriet nicht die geringste Uns i cherheit. Sie hielt den Kopf so hoch wie immer.
Ich stand auf.
›Madame‹, sagte ich, ›ich habe die Ehre, Ihnen einen g u ten Tag zu wünschen. Ich habe Ermittlungen ang e stellt – leider ohne E r folg. Der Fall ist abgeschlossen.‹«
Poirot schwieg einen Augenblick und fügte dann r u hig hinzu: »Sie starb eine Woche später. Mademoiselle Me s nard brachte ihre Nov i zenzeit hinter sich und nahm den Schleier. Das, mein Freund, ist die Geschichte. Ich muss zugeben, dass ich darin keine sehr gute Figur mache.«
»Aber das kann man wohl kaum einen Misserfolg ne n nen«, warf ich ein. »Was hätten Sie unter den g e gebenen Umständen tun so l len?«
»Ah, sacré, mon ami!«, rief Poirot plötzlich lebhaft. »Ist es denn möglich, dass Sie es nicht begreifen? Ich war ein sechsunddreißigfacher Idiot! Meine grauen Zellen funkt i onierten überhaupt nicht. Dabei hatte ich die ganze Zeit den entscheidenden Hinweis vor A u gen.«
»Welchen Hinweis?«
»Die Pralinenschachtel! Verstehen Sie denn nicht? Würde jemand, der gut sieht, einen solchen Fehler m a chen? Ich wusste, dass Madame Déroulard am grauen Star litt, das hatten mir die Atropintropfen verr a ten. Es gab im ganzen Haus nur einen Me n schen, der nicht sehen konnte, welcher Deckel auf welche Schachtel gehörte! Es war die Pr a linenschachtel, die mich auf die richtige Spur brachte, aber am Ende übersah ich ihre wirkliche Bede u tung.
Auch meine Psychologie ließ mich im Stich. Wäre Saint Alard der Täter gewesen, hätte er das belastende Fläsc h chen nie behalten. Dass ich es bei ihm fand, war ein B e weis für seine Schuldlosigkeit. Ich hatte schon von M a demoiselle Mesnard erfahren, wie ze r streut er war. Im Großen und Ganzen war es eine unglückselige Geschic h te, die ich Ihnen da erzählt habe. Und ich habe sie nur Ihnen erzählt. Sie verst e hen, ich spiele eine eher klägliche Rolle darin. Eine alte Dame begeht ein Verbrechen, und das auf eine so einfache und raffinierte Weise, dass ich, Hercule Poirot, mich tä u schen lasse. Sapristi! Nicht einmal daran denken mag ich! Verge s sen Sie sie. Oder nein – behalten Sie sie im Gedächtnis, und wenn Sie je der Me i nung sein sollten, ich würde eitel – was zwar nicht wah r scheinlich ist, aber immerhin sein könnte, dann…«
Ich unterdrückte ein Lächeln.
»Eh bien, mein Freund, dann sagen Sie einfach ›Pral i nenschac h tel‹. Abgemacht?«
»Abgemacht.«
»Trotzdem«, sagte Poirot nachdenklich, »es war eine E r fahrung. Ich, der im Augenblick zweifellos das klüg s te Gehirn von ganz Europa habe, kann es mir leisten, großmütig zu sein.«
»Pralinenschachtel«, sagte ich leise.
»Pardon, mon ami?«
Ich sah Poirot an, der sich mit unschuldigem Gesicht fragend vo r beugte, und mein Herz schmolz. Ich hatte wegen ihm schon viel gelitten, aber auch ich konnte, o b wohl ich nicht das klügste Gehirn von ganz Europa b e saß, großmütig sein.
»Nichts«, log ich und zündete mir, in mich hineinl ä chelnd, noch eine Pfeife an. »Es ist nichts.«
Die U-Boot-Pläne
I
P er Eilbote war eine Nachricht gekommen. Poirot las sie, und noch im Lesen schien in seinen Augen ein Leuchten der Begeisterung und der Neugier auf. Er en t ließ den Mann mit wenigen knappen Worten und drehte sich zu mir.
»Packen Sie eilig eine Tasche, mein Freund. Wir fa h ren hinaus nach Sharples.«
Ich merkte auf, als ich den Namen des berühmten Landhauses von Lord Alloway vernahm. Lord Alloway war Leiter des neu gebildeten Verteidigungsminister i ums und damit ein prominentes Kabinettsmi t glied. Als Sir Ralph Curtis, Leiter eines bedeutenden Ingenieu r büros, hatte er sich schon im Unterhaus einen Namen gemacht, und inzwischen wurde von ihm ganz offen als dem ko m menden Mann gespr o chen, der aller Wahrscheinlichkeit nach den Auftrag zur Bildung eines Ministeriums erhalten würde, sollten sich die Gerüchte um Mr David Mac A dams
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