Poirots erste Fälle
sofort alle Anwesenden des heutigen Abends befragen.«
»Das lässt sich natürlich arrangieren«, sagte Lord All o way. »Die S a che ist nur, wir möchten das Ganze so weit wie möglich unter Ve r schluss halten. Bei Lady Juliet Weardale und dem jungen L e onard bestehen natürlich keinerlei Bedenken – bei Mrs Conrad aber, sofern sie unschuldig ist, liegen die Dinge etwas anders. Vie l leicht könnten Sie einfach bekannt geben, dass wichtige Unte r lagen abhanden gekommen sind, ohne sie näher zu b e zeichnen und auf die Umstände ihres Verschwindens einzugehen?«
»Genau das wollte ich auch gerade vorschlagen«, sagte Poirot stra h lend. »Sogar für alle drei. Monsieur l’Admiral wird mir verzeihen, aber auch die beste Eh e frau…«
»Nichts für ungut«, sagte Sir Harry. »Frauen reden nun einmal, Gott segne sie! Wobei ich wünschte, Juliet würde etwas mehr r e den und dafür weniger Bridge spielen. Aber so sind die Frauen heutzutage: nur z u frieden, wenn sie tanzen oder spielen können. Ich g e he und wecke Juliet und Leonard auf, soll ich, All o way?«
»Ja, danke. Ich rufe das französische Mädchen. Mons i eur Poirot wird auch sie sehen wollen, und sie kann ihre Herrin wecken. Ich werde mich jetzt gleich darum kü m mern. Und solange schicke ich Fitzroy zu Ihnen herein.«
II
Mr Fitzroy war ein blasser, hagerer junger Mann mit Kneifer und frostigem Ausdruck. Seine Aussage deckte sich praktisch Wort für Wort mit dem, was Lord Alloway uns bereits erzählt hatte.
»Wie lautet Ihre Theorie, Mr Fitzroy?«
Mr Fitzroy zuckte mit den Schultern.
»Unzweifelhaft hat jemand, der über die Lage der Dinge B e scheid wusste, draußen auf seine Chance gewartet. Durch die Te r rassentür konnte er sehen, was hier vor sich ging, und ist hereingekommen, s o bald ich aus dem Zimmer war. Es ist ein Jammer, dass Lord Alloway nicht gleich die Verfolgung aufgenommen hat, als er den Mann ve r schwinden sah.«
Poirot klärte den Irrtum nicht auf. Stattdessen fragte er: »Glauben Sie dem französischen Mädchen die Geschic h te, dass sie einen Geist gesehen hat?«
»Monsieur Poirot, natürlich nicht!«
»Ich meine, glauben Sie, dass sie das glaubte?«
»Ah, das kann ich wirklich nicht sagen. Jedenfalls wirkte sie sehr aufgewühlt. Sie hielt sich mit beiden Händen den Kopf.«
»Aha!«, rief Poirot mit dem Gebaren eines Mannes, der soeben eine Entdeckung gemacht hat. »War das so – und sicherlich ist sie ein hü b sches Mädchen?«
»Darauf habe ich nicht geachtet«, sagte Mr Fitzroy mit strenger Stimme.
»Und ihre Herrin haben Sie nicht gesehen, nehme ich an?«
»Doch, tatsächlich habe ich sie gesehen. Sie stand oben an der Tre p pe, auf der Galerie, und rief nach ihr: ›Léonie!‹ Dann erst sah sie mich – und hat sich natürlich zurückg e zogen.«
»Oben an der Treppe«, sagte Poirot stirnrunzelnd.
»Ich bin mir natürlich darüber im Klaren, dass die S a che für mich sehr unangenehm ist – oder es wäre, hätte Lord Alloway nicht zufällig den Mann davonlaufen sehen. Dennoch würde ich es zu schätzen wi s sen, wenn Sie sich entschließen könnten, mein Zimmer zu durchs u chen und auch mich selbst.«
»Das wollen Sie wirklich?«
»Unbedingt.«
Was Poirot darauf antworten wollte, weiß ich nicht, da in diesem Moment Lord Alloway zurückkam und uns mitteilte, die beiden D a men und Mr Leonard Weardale warteten im Salon.
Die Damen trugen schickliche Hauskleider. Mrs Co n rad war eine schöne Frau von fünfunddreißig Jahren, mit goldblondem Haar und leichtem Hang zur Dickle i bigkeit. Lady Juliet Weardale mochte um die vierzig sein, groß und dunkel, sehr schlank, noch immer schön, mit elega n ten Händen und Füßen und ruhel o sem, abgespanntem Gebaren. Ihr Sohn war ein verweichlicht wirkender ju n ger Mann, der sich von seinem schroffen, etwas rauen Vater nicht stärker hätte unte r scheiden können.
Poirot trug die kleine Geschichte vor, auf die wir uns geeinigt hatten, und erklärte abschließend, er sei b e gierig zu erfahren, ob irgendjemand in dieser Nacht etwas g e hört oder gesehen habe, das uns eventuell würde weite r helfen können.
Als Erstes wandte er sich an Mrs Conrad und bat sie, so freun d lich zu sein und ihn in allen Einzelheiten über ihre Schritte an diesem Abend in Kenntnis zu setzen.
»Lassen Sie mich überlegen… Ich ging nach oben und klingelte nach meinem Mädchen. Als sie nicht e r schien, trat ich auf den Flur und rief nach ihr. Dabei hörte ich
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