Poison (German Edition)
und seinen Bewegungen nach zu schätzen, ist er ganz gewiss nicht entspannt, im Gegenteil, seine Bewegungen sind fahrig und haben so absolut nichts von der tiefen inneren Ruhe, die ich an ihm so schätze. Ich finde, im Moment ähnelt er mir in meinen besten Zeiten bei Carlos.
»Soll ich nicht doch lieber mitkommen?« Die Frage ist rhetorisch, denn er wird nicht zustimmen, dessen bin ich mir sicher. Er soll aber dennoch wissen, dass ich es tun würde, wenn er es braucht, und dieses Gefühl versuche ich ihm gerade zu vermitteln; dass ich für ihn da bin, so wie er es auch für mich ist, ich hoffe es zumindest beziehungsweise ich nehme es an, so, wie er sich während meiner uhm... Erkältung oder was auch immer das war, um mich gekümmert hat. Dass ich mit seiner Ablehnung gerechnet habe, hatte ich bereits erwähnt, aber sein leises Kopfschütteln verrät seine innere Angst.
»Du könntest mir nicht helfen«, erklärt er mir ungefragt. »Da muss ich nun ganz alleine durch. Aber es wäre sehr schön, wenn du anschließend in der Nähe wärest ... also lass dein Handy an, wenn du weggehst«, bittet er.
Ehrensache, mein Freund.
90
Shahin
Das Taxi bringt mich zu der Adresse, die ich zwar kenne, die mir aber nicht wirklich vertraut ist, ich bin ein- oder zweimal dort gewesen, mit Peter zusammen. Ich habe Brix den Wagen im Hotel gelassen, damit er im Fall des Falles zu mir kommen kann, und bin mit dem Taxi nach Frankfurt gefahren, wo Peters Eltern im relativ vornehmen, aber dennoch dörflichen Bergen-Enkheim leben.
Ich habe jeglichen Versuch des Taxifahrers, mit mir ins Gespräch zu kommen, abgeblockt, und hoffe nun, dass alles gut geht, dass ich die gewünschte Information bekomme, nicht angefeindet ... und vor allem nicht so heftig an Peter erinnert werde. Eine halbe Stunde später stehe ich – kurz vor sechzehn Uhr – vor dem Gartentor, das das frei stehende Einfamilienhaus und den parkähnlich angelegten Garten von der Seitenstraße trennt, und an dessen Klingel ich nun läute. »Seine Mutter ist ganz schön grau geworden«, ist eigentlich der erste Gedanke, der meinen Geist durchzieht, als Frau Stahl mich am Tor abholt, schon wenige Augenblicke nach meinem Läuten. Sie trägt Jeans, was ich dieser auf konservativen Stil eingestellten Frau niemals zugetraut hätte, hat einen Eimer, Handschuhe und eine Gartenschere in der Hand und Erde an den Knien. Also, das letzte Mal, als ich hier war, hatten die Stahls noch einen Gärtner. Und eine Putzfrau, und die Dame des Hauses trug teuren Schmuck, ein konservativ-elegantes Kleid und sah so gar nicht nach der munteren, ergrauten Frau aus, die nun vor mir steht.
»Das Tor ist offen«, ruft sie mir zu, »Sie können ruhig reinkommen.« Irgendwas ist seltsam, denke ich, und meine Gabe meldet mir prompt die Resignation, umrahmt von tiefer Trauer und Frustration, die von dieser Frau ausgeht. Ob die grauen Haare damit etwas zu tun haben? Ich schweige, schaue sie nur an, mustere sie aufmerksam, ohne die Initiative zu ergreifen, und sie bemerkt, versteht vielleicht, dass ich die Veränderung bei ihr, in ihr verstanden habe, denn sie lächelt kurz, kommt auf mich zu, reicht mir ihre Hand wortlos, jedoch es ist nicht das Schweigen, das man schweigt, wenn man sich nichts zu sagen hat, sondern ein verstehendes, fast schon familiäres, vertrautes Schweigen. »Schön, Sie zu sehen, Shahin... ich darf doch Shahin zu Ihnen sagen?« Ich nicke.
»Nach so langer Zeit ...«, sinniert sie. »Nennen Sie mich Carola, bitte.«
Ich überlege kurz, entscheide mich dann aber doch für etwas mehr Offensive. »Ich denke, das Geschehene war für alle Beteiligten nicht einfach, und ich bin froh, heute inzwischen nur noch selten an alles erinnert zu werden.«
Seine Mutter lächelt kurz, ganz so, als würde sie in Erinnerungen schwelgen. »Setzen wir uns in die Gartenlaube, da sind wir ungestört«, schlägt sie dann vor. »Ich habe Tee gekocht, und wir können ganz in Ruhe reden.«
Ich hatte mir das Ganze wesentlich schwerer vorgestellt, zumal ich seine Mutter eigentlich als sehr etepetete in Erinnerung hatte, und vor allem als sehr traditionell, homophob und konservativ. Wenn ich an unsere letzte gemeinsame Begegnung denke, bei der Peters Mutter mich aus hasserfüllten Augen anblitzte, kommt es mir fast so vor, als handele es sich bei der Frau mir gegenüber nicht um seine Mutter, sondern um deren Schwester ... oder um seine ältere Schwester, wenn er denn eine gehabt hätte, anstelle ein
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