Poison (German Edition)
zu nehmen. Menschen trauern über die Zukunft, anstatt sich an die schönen Zeiten zu erinnern und eine Abschiedsparty zu feiern, dankbar zu sein, für die Zeit, die man miteinander verbringen durfte ... Versteh mich nicht falsch, ich mache dir keinen Vorwurf. Ich möchte nur, dass du aufhörst, zu leiden!« – What? – »Sei dir gewiss, ich habe dich genauso geliebt wie du mich, und ich wache über dich, so wie du über mich gewacht hast ... aber nun behalte mich in Erinnerung so, wie ich war, und denke an die schönen Dinge.« – Das tue ich ... – »Ich habe das »Poison’s« meiner Mutter vererbt, mit der innigen Bitte, sie möge es in meinem Sinne weiterführen und meinen Freunden weiterhin eine Heimat gewähren. Wenn Sie es nicht schafft, so bitte ich dich, kaufe es ihr ab, und mache du es. Der Preis, eine Million Euro, ist im Testament festgehalten, und soll meiner Mutter endlich ihr eigenes, freies Leben gewährleisten ...« – Das hatte ich sowieso vor ... und eine Million ist deutlich finanzierbar ... – »Ich danke den Göttern für die Zeit, die wir miteinander verbringen durften.« – Nicht nur du ... ich auch!!! – »Peter.«
Als ich den Brief zu Ende gelesen habe, schließe ich die Augen und senke den Kopf, lasse das erste Mal seit Peters Tod zu, dass die Erinnerungsfetzen meinen Kopf durchjagen, meine Seele umbranden, und alles, was geschah, wie ein Film vor meinem geistigen Auge ablaufen: Wie ich die Tür zu Peters Wohnung aufschließe, die Tüten in die Küche bringe, die ich für ihn ... für uns ... eingekauft habe, denn ich verbringe zurzeit mehr Zeit hier als in meiner eigenen Wohnung, weil wir beide die gegenseitige Nähe genießen. Dann das Gefühl, es sei etwas nicht in Ordnung, mein Suchen in der Wohnung, bis ich dann Peter finde, wie er im Bett liegt, ohne zu atmen. Zehn Minuten, in denen ich stumm und fassungslos am Bett sitze und seine Hand halte, bis ich mich endlich dazu aufraffe, zum Telefon zu gehen, Polizei und Notarzt rufe, die dann bald hier sind, den Tod feststellen, und den Abtransport der Leiche meines geliebten, besten Freundes veranlassen. Ich verbleibe in der Wohnung, mache sauber, sortiere seine Papiere, versuche seine Eltern, die im Urlaub sind, zu erreichen – erfolglos! – und veranlasse alles Notwendige, verlasse allerdings Frankfurt Hals über Kopf in Richtung Berlin noch vor Beerdigung und Totenfeier, nehme mir ein Hotelzimmer, bestelle von Berlin aus ein Umzugsunternehmen, das meine Wohnung ausräumt, die Möbel zu mir bringt und die Wohnungsübergabe durchführt bzw. die Wohnung über einen Makler verkauft. Alles vergessen und verdrängt ... – bis eben.
»Ich werde meinen Mann verlassen.« Dieser Satz von Peters Mutter durchdringt nach einer ganzen Weile den Schleier, der meine Gedanken vernebelt hat, und zerrt mich wieder auf diese Ebene des Bewusstseins, auf die Prime. »Er konnte noch nie mit seinen Aggressionen umgehen und hat seine Verzweiflung über die Versuche, unseren Sohn zu verstehen, in eine Abneigung, fast schon einen Hass, gegen euch umgewandelt. Nicht, dass er nicht liebevoll wäre«, sie schweigt verträumt, »er opfert sich auf, denkt er, aber das alles ist nicht von Erfolg gekrönt ... und er wird lernen müssen, ohne mich zu leben, fürs Erste.« Sie klingt entschlossen, als sie fortfährt. »Zahlen Sie mir eine Million Euro, und geben Sie mir einen Job in Ihrem neuen Geschäft.«
Ich schaue ihr in die Augen, signalisiere stumme Zustimmung. »Einverstanden«, ist alles, was ich sage. Das Wissen, das richtige zu tun, breitet sich in mir aus. Wir verabreden uns für morgen beim Notar und verabschieden uns beinahe familiär. Dann gehe ich und werde den Weg ins Hotel sehr nachdenklich verbringen.
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Shahin
Eigentlich bin ich nach Frankfurt gekommen, um herauszufinden, wem das ehemalige »Poison’s« gehört. Nun habe ich zugesagt, eine Million Euro zu bezahlen, um das Geschäft zu kaufen, Peters Mutter einzustellen, den Laden nach meinen Vorstellungen umzubauen, und Besitzer einer Diskothek zu sein ... und das, ohne Brix gefragt zu haben. Gut, wir wollten uns die Kneipe mieten, aber der ganze Laden hat natürlich auch etwas für sich.
Da das Taxi nicht auf mich gewartet hat, gehe ich gemächlich zu Fuß in Richtung U-Bahn-Station Enkheim, die eine knappe halbe Stunde Fußmarsch entfernt ist – aber ich habe keine Lust, auf den Bus zu warten, was voraussetzt, dass ich eine Bushaltestelle finde. Eine Stunde später stelle ich
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