Poison (German Edition)
Fernsehen auch nichts Besonderes, also checke ich noch schnell meine Mails, gehe mal eben in den Chat, treffe aber keine Bekannten, und beschließe, jetzt besser schlafen zu gehen.
27
Brix
Die U-Bahn eben hat mich nicht wirklich abgelenkt, kein Stück. Klar, ich saß ja auch in der U9, in der ich ihm das letzte Mal begegnet bin, und ich habe unterbewusst an jeder Station Bahnsteig und Wagen mit meinen Blicken durchforstet, ob er nicht doch einsteigt oder draußen steht. Doch ein Taxi wollte ich auch nicht nehmen, um meinen Wagen zu holen. Nicht wegen der zehn Euro, die es von mir nach Schöneberg kostet, sondern weil mir das Geblubber auf die Nerven geht, das die meisten Fahrer ungefragt und – in meinem Falle ungewünscht – von sich geben. Das ertrage ich schon nur kaum, wenn meine Laune gut ist, und heute ganz bestimmt nicht. Und den Bus? Nein. Sonst will der Busfahrer garantiert von mir unterhalten werden, und das brauch ich heute nicht, auf gar keinen Fall. Bleibt nur die U-Bahn, mit der ich mein Ziel auch noch am schnellsten erreiche, und die mir eigentlich auch am liebsten ist. Meine miese Laune steht mir heute so richtig auf der Stirn geschrieben, als ich an der Schlossstraße einsteige, mich auf einen Sitz fallen lasse und wie gewohnheitsmäßig erst einmal alle Leute im Wagen kurz mustere, als wir bereits wieder fahren, und die nächste Station gerade angesagt wird.
Meine Blicke treffen sich mit denen eines Typen, der mich anschaut, stutzt, erstarrt, wegschaut, mich dann wieder anschaut, hektisch seine Tasche greift, aufsteht, und betont unauffällig zur Tür geht, um an der nächsten Station auszusteigen. Klar, diese Augen kenne ich. Ich weiß nur nicht, woher. Uhm, das sollte ich herausfinden, denn es lenkt ab ... von IHM. Ich stehe auf, schlendere durch den Wagen bis zu ihm, der zusammenzuckt, als ich plötzlich neben ihm an der Tür stehe, ebenfalls betont unauffällig.
»Hallo«, säusele ich grinsend, denn mir ist gerade eingefallen, woher ich diesen Typen kenne. Von früher, als ich noch Fahrscheine kontrolliert habe. Und seiner Reaktion zufolge hat er mich auch erkannt, denn er kann meinen Blick, den ich auf ihm ruhen lasse, nicht halten, schaut immer wieder weg, tut so, als würde er mich nicht kennen. Ich hasse diese Tucken, die nicht einmal genügend Mumm in den Knochen haben, für ihre Fehler einzustehen. Wo bleibt denn da die Männlichkeit? Buäh. Ich bin gay, das bedeutet, ich fahre auf Männer ab, statt auf Tussis – und schon gar nicht auf Typen, die so tun, als wären sie die pure Weiblichkeit – oder eine billige Imitation davon, wie dieser Typ vor mir.
»Ciao«, verabschiede ich ihn, als die Bahn hält, und sehe ihm zu, wie er aussteigt, über den Bahnsteig stolpert, immer wieder zu mir schaut, ganz so, als könnte er es immer noch nicht fassen, dieses Mal ohne die vierzig Euro Strafe davongekommen zu sein, während sich die Türen wieder schließen und die Bahn weiterfährt. Ein paar Stationen später habe ich dann mein Ziel erreicht, und steige aus. Ohne Störung, zum Glück.
Draußen ist es kühl, eigentlich viel zu kühl für Mitte April, stelle ich fest, als ich die Rolltreppe hochkomme. Der Wind trägt seinen Teil dazu bei, dass es so richtig ungemütlich wird, als ich auf die Straße trete. Ich ziehe meine Schultern hoch, vergrabe meine Hände tief in den Jackentaschen und genieße die Wärme, die mich durchströmt, und das, obwohl ich eigentlich einen Pullover angezogen habe, der mich genügend wärmt. Mir ist kalt.
In meiner rechten Jackentasche finde ich die Tüte mit den Bonbons, die ich vorhin an der Tankstelle gekauft habe, reiße sie auf, hole eins aus der Verpackung, stecke es mir in den Mund und die Tüte wieder in die Tasche. Gut, dass ich sie dabei habe, das Kratzen in meinem Hals nervt mich nämlich langsam, zumal ich nicht weiß, woher es kommt. Heute habe ich nämlich noch gar nicht geraucht. Wird wahrscheinlich eine Nachwirkung von gestern sein, und da hält der Filmriss schön brav an. Nicht, dass ich es ändern könnte, und da ist noch das Gefühl in mir, dass es vielleicht besser so ist, wenn ich es NICHT ändere. Mhm, okay. Was ich ändern sollte, ist das Ergebnis der Aktion ... das Kratzen im Hals.
Von dieser Erkenntnis angetrieben, stecke ich mir das Bonbon in den Mund und beginne es zu lutschen. Zitrone, ausgerechnet. Na ja, ich habe wahrscheinlich ziemlich wahllos danach gegriffen. Mit Bonbons ist es nämlich wie mit Männern, sie sind
Weitere Kostenlose Bücher