Poison (German Edition)
aber immer noch besser, als erst herauszufinden, wo der Wagen hingekommen ist, dann mit dem Taxi hinzufahren, ihn auszulösen und noch mehr Zeit zu verschwenden. Beschädigt ist er jedenfalls nicht, und die Knöllchen kann ich verschmerzen. Bedeutet halt Ärger. Innerlich zucke ich zusammen, als ich unweigerlich an IHN denke und daran, dass ich ihm Ärger bereitet habe ... oder ihn bloßgestellt, was eigentlich das Gleiche ist.
Auch wenn mein Lächeln nach außen hin wie immer ist, als ich ins »Peaches« komme, fühle ich mich innerlich ziemlich mies ... und ein bisschen befreiter, als ich mich umschaue und feststelle, dass ER nicht hier ist. Wirklich gewundert hätte es mich jedenfalls nicht, so viel »Glück«, wie ich in der letzten Zeit habe. Gott sei Dank, es ist nicht so. Ich könnte das nicht ertragen, ihn jetzt zu treffen, hat sich doch sein verletzter, vorwurfsvoller Gesichtsausdruck unauslöschlich in meiner Erinnerung vergraben.
Paul, der Wirt, reicht mir ein Bier, und ich verlange fast automatisch nach einem Tequila. Braunem versteht sich.
»Ich brauch’ Vitamine«, antworte ich auf seinen fragenden Blick. Und vor allem brauch ich jetzt keinen Kommentar über die gestrige Nacht, die immer noch völlig nebulös für mich ist. Nicht, dass ich wirklich noch weiß, ob er überhaupt da war, aber warum sollte er auch nicht? Er ist der Wirt. Und er lässt sich nichts anmerken, sondern stellt wortlos einen Mescal auf den Tisch. Ohne Wurm, versteht sich, gut. Mit Orangenscheibe und Zimt, denn so trinkt man den braunen Tequila im Gegensatz zum weißen.
Ich streiche mir mit der Scheibe über die Hand, streue etwas Zimt darüber, lecke es ab, kippe den Mescal hinterher, und genieße das angenehme Brennen im Hals, das mir den Rest von gestern wegätzt, das Zu-Kopf-Steigen und die sich anschließend ausbreitende Leere ... sekundenlang, exakt bis ich in die Orange beiße. Schon wandern meine Gedanken zurück zu den Hustenbonbons und zu der Frage, wie ER wohl schmeckt. Nach Orange? Verdammt, ich weiß absolut nichts über ihn ... und komme zum ersten Mal auf die Idee, das vielleicht zu ändern. Aber wen soll ich fragen? Kalle? Nein, diese Art von Aufsehen möchte ich gerne vermeiden. Aber wen sonst? Es dauert nicht allzu lange, bis Ducky mir in den Sinn kommt. Hat er nicht irgendwas gesagt, dass er nicht weiß, woher er IHN kennt? Vielleicht ist es ihm ja eingefallen? Noch bevor ich überhaupt weiß, ob ich das wirklich will, wähle ich bereits Duckys Nummer auf meinem Handy.
»Hallo?«, meldet er sich, sogar um diese Zeit noch unterwürfig und schleimig. Buäh. Mehr als »Bri...« bringe ich nicht über die Lippen, als er mir ein lautes »Ha! Reingefallen« mit anschließendem Gekicher entgegenwirft. Argh! Noch ein kläglich gescheiterter Versuch, cool zu sein. Vergiss es Junge, du bringst es nicht. Dann warte ich sein weiteres Blabla und den Piepton ab, um seiner Mailbox sagen zu können, dass er mich auf dem Handy zurückrufen soll, dass es dringend ist, und überhaupt ... verdammt, wenn Ducky unterwegs ist, kann das länger dauern. Das hat damit zu tun, dass Ducky auf Typen steht, die er nie bekommen wird, weil seine Ansprüche unverhältnismäßig hoch sind. Und er verlässt die Szenelokale auch nie, bevor auch nicht die letzte – nicht vorhandene – Chance darauf, einen Typen meiner Klasse abzugreifen, ausgeschöpft ist. Irgendwie rafft er es nicht ... wird er aber vermutlich auch nie. Kann also eine lange Nacht werden. Egal, für den Moment habe ich Zeit, und das »Peaches« genügend zu trinken, wie Paul mir gerade demonstriert, indem er die volle Bierflasche im Kühlschrank mit meiner leeren austauscht.
Okay, ich bleibe. Vorher parke ich aber noch mein Auto anständig, damit es nicht noch teurer wird, wenn ich es bis morgen stehen lasse. Nachdem ich das erledigt habe, nehme ich noch die Knöllchen von der Windschutzscheibe, überfliege sie kurz und werfe sie achtlos in einen der Papierkörbe. Egal, muss ich halt morgen doch mit der U-Bahn fahren, oder mit dem Taxi. Ich will doch nicht zu spät kommen, immerhin werde ich befördert!!!
Allein dieser Gedanke hebt meine Laune um ein paar Grad, was ich gerne noch etwas steigern würde. Vielleicht mit Jack oder Johnny ... da sind wenigstens keine Orangen im Spiel. Und die Eiswürfel im Glas werden mich wohl kaum an IHN erinnern. So geschmacklos ist er nämlich garantiert nicht.
29
Shahin
Geweckt werde ich am nächsten Morgen gegen zehn vom Telefon.
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