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Poison (German Edition)

Poison (German Edition)

Titel: Poison (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Alster
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grauen Kostüm und lächelt sein jungenhaftes Lächeln. Er ist es.
    »Wer ist das?«, frage ich Carlos, und deute auf ihn.
    »Der?« Carlos mustert mich. »Brix Mendelssohn. Macht zurzeit in Berlin Lizenzmanagement. Warum?«
    Ich zucke mit den Schultern. »Weil ich ihn kenne. Aus dem Supermarkt.« Ich grinse beim Gedanken an die Kondome im Regal. Carlos zieht beide Augenbrauen nach oben, schaut mich seltsam an. Mustert mich scheinbar versonnen, zuckt dann kurz und meint lapidar: »Kein Mann für dich, Shahin. Klar, der ist schwul. Schön ist er auch. Aber er ist ein Casanova im klassischen Stil. Jede Nacht mindestens einen Mann und den nur einmal. Und wenn er alle Männer in Berlin kennt, lässt er sich in die nächste Stadt versetzen. Nach München, soweit ich weiß, als Nächstes.« Carlos mustert mich, fast liebevoll. »Mach dich nicht unglücklich«, sagt er beschwörend. »Er bricht die Herzen der stolzesten Männer wie ein Streichholz, und dann zieht er weiter. Ich habe viele Männer gesehen, die ihn lieben wollten, und die er verraten hat. Der Letzte war Grafiker bei uns. Hat sich erschossen, in seinem Büro.« Carlos schweigt, lässt die Worte wirken. Und ich stehe da wie ein Idiot. Einer der Momente, in denen ich bereue, Frankfurt verlassen zu haben. Vor sieben Monaten, als ich nach Berlin kam. Dank IHM fühle ich mich gerade, als bräche eine Welt zusammen – warum nur? Wegen eines Blowjobs? Seiner sehnsüchtigen Augen wegen, die voller Angst und Scheu sind, wenn man nur sehen kann? Oder weil ich mich auf dem besten Weg dahin befinde, mich in ihn zu verlieben?
    Ich setze mich wortlos wieder in einen der Sessel, lausche dem Pochen meines Herzens. Wie durch eine Nebelwand höre ich Carlos’ Stimme, die mich einzulullen scheint. Ich kann nicht verstehen, was er mir sagt, so sehr bin ich von dem Stimmengewirr in meinem Inneren in Anspruch genommen. Was ich höre, ist, wie die Haustür geht. Hundegebell im Haus, Carlos scheint sehr überrascht. Seine Augen huschen durch den Raum, ganz so, als überlege er, in welchem Kleiderschrank er mich am besten verstecken soll, oder so. Obwohl mir die ganze Situation zu entgleiten droht, lächele ich – sie entbehrt nicht einer gewissen Komik. Seltsamerweise bleibt es ruhig, das Hundegebell verstummt. Mit leichtem Lächeln stelle ich fest, dass Carlos wohl nicht weiß, was er sagen soll. Ich stehe auf, nicht ohne eine gewisse Eleganz, und reiche Carlos die Hand.
    »Danke, Herr Alfaya, dass Sie mir einen Moment Ihrer Zeit geschenkt haben. Ich bin mir sicher, dass ich meine Kollegen überzeugen kann, Ihrem Vertragsvorschlag für die erste CD zuzustimmen«, versuche ich die Situation zu retten. Zu spät. Ein älterer Mann mit schütterem, grau-gelblichem Haar und Cordhose öffnet die Tür an der Rückseite des Salons, noch bevor ich den Satz glaubhaft zu Ende bringen kann. Dr. Helmut Willendonk. In natura sieht er noch viel verfallener, seniler aus als auf dem Foto.
    »Gut«, denke ich, »ich weiß ja selbst, was man mit professioneller Fotografie alles hinbekommt.« Ich versuche, interessiert zu schauen, und sage höflich: »Guten Tag ...«, der Rest bleibt mir aber im Halse stecken, als ich den Säbel in der rechten Hand des Alten erblicke. Nun kommt es auf mein schauspielerisches Talent an. Der Alte mustert mich, fast schon wohlgefällig. Sein »Verschwinde« kommt dennoch ziemlich verächtlich hervor. Ich entschuldige mich für die Störung, versuche noch einmal die Lüge mit der zu produzierenden CD. »Verschwinde, Stricher«, ist seine einzige Antwort. Okay, jetzt gehe ich. Nicht allerdings, ohne Carlos einen bedauernden Blick zuzuwerfen. Ehekrisen dieser Art brauche ich nicht, dazu bin ich heute nicht mehr in der Lage. Sonst vielleicht, aber nicht nach dem, was ich heute über IHN gehört habe.
    Wie ein geprügelter Hund stehe ich auf der Straße, atme die schwüle Luft ein und fühle mich gerade ziemlich verloren, alleine. Bleiben nicht viele Leute, und mein bester Freund ist vor einem Dreivierteljahr gestorben. In Frankfurt am Main, ich erwähnte es bereits. Deswegen bin ich gegangen. Alles vergessen, und nicht mehr daran denken. Momente der Geborgenheit in seinen Armen, sein kraftvoller Schutz und das Wissen darüber, dass er mich genau gekannt hat, schnüren mir gerade die Luft ab. Meine Augen füllen sich mit Tränen, und so laufe ich erst einmal ziellos durch den angrenzenden Wald, bis ich einen umgestürzten Baum finde, auf den ich mich setze und meinem Kummer

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