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Poison (German Edition)

Poison (German Edition)

Titel: Poison (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Alster
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freien Lauf lasse.

43
    Shahin
     
    Irgendwann beruhige ich mich wieder. Ich gehe zum Auto zurück, wo Marianne auf dem Beifahrersitz liegt und selig schlummert. Bei Carlos ist alles dunkel. Um Marianne nicht zu wecken, verkneife ich mir die Musik, nach der mir jetzt ist, beherrsche mich krampfhaft, um nicht schon wieder meine Fassung zu verlieren.
    Nachdem ich sehr ausführlich getestet habe, ob die Lärmbelästigung der E-Klasse im Fahrgastraum auch noch bei 220 km/h Schlaf möglich macht, mache ich an der Tankstelle in Leipzig die Erfahrung, dass eine Tankfüllung ein teures Vergnügen ist, wenn man einen sportlichen Fahrstil über mehrere Hundert Kilometer verwendet – jedenfalls fühle ich mich besser – und ein Gefühl für das Taxi habe ich auch bekommen.
    Marianne fährt weiter, und ich falle sofort in einen tiefen, zum Glück traumlosen Schlummer, aus dem ich erst vor meiner Haustür wieder erwache, mich wie gerädert fühle, Marianne verspreche, dass ich sie morgen anrufe. Tee und Tabak tun ihr Möglichstes, mich wieder an mein Zuhause zu gewöhnen. Doch einen Nachteil hat die Sache – kaum bin ich zu Hause, denke ich wieder an IHN. Brix Mendelssohn, Casanova aus Berlin. Brix. Der Starke. Altgermanischer Heldenname. Brix Mendelssohn. Wie der Komponist. Felix Mendelssohn-Bartholdy. »Ouvertüre der Liebe«. Während ich die passende CD höre, denke ich an Brix. An seine Augen, an diese unberechenbare Scheu vor Menschen. Ich bin mir sicher, dass dieser Mensch viel zu viel schon mitgemacht hat in seinem relativ jungen Leben. Wie alt ist er? Ich schätze, 28, 29. Nicht viel älter. Was muss einem Menschen widerfahren, dass die Verzweiflung ihn zu solchem Verhalten treibt?
    Ich habe nur wenige Menschen gesehen, die freiwillig auf ihre Gefühlswelt verzichten, doch ich bin mir sicher, dass ER die »Antenne«, die ein Mensch braucht, um Liebe empfangen zu können, zwar entwickelt, aber vergessen hat.
    »Ob er weiß, was Liebe ist?«, frage ich laut in die Dunkelheit, die mich inzwischen umgibt. Meine Kerzen sind fast niedergebrannt, ich ersetze sie durch neue und starre weiter in die Flammen. Ich erahne – meiner Gabe sei Dank –, dass er Angst vor der Liebe haben muss, weil er damit nicht umgehen kann und vielleicht auch nicht will, wieder aus Angst davor, dass er sich mit Leib und Seele hingeben, einbringen müsste und er eventuell enttäuscht werden könnte. Was hat man diesem Mann nur angetan??? Er verwechselt Liebe mit Sex.
    »Brix, du starker Mann, du, der du voll bist von Kraft, warum zerstörst du dich nur selbst?« Natürlich wird mir mein Wohnzimmer keine Antwort auf meine Frage geben, aber es beruhigt, mich selbst reden zu hören. Und mir wird gerade einiges klarer.
    Denn auch ich habe wohl seit einer Weile vergessen, dass Liebe nehmen und Liebe geben das schönste Gut dieser Welt ist, sage ich mir mit Sachmedias Stimme in meinem Kopf. Ich mir? Ahhh, ich verstehe. Kontakt aufzunehmen über die Gedanken, innerlich lächele ich respektvoll.
    »Auch wenn ich meinen Kunden Illusionen verkaufe«, halte ich gedanklich dagegen, »bin ich mir doch bewusst, dass Sex mit einem Partner 100mal schöner ist, erfüllter, vor allem, wenn man(n) wirklich liebt.« Doch bin ich dazu überhaupt fähig? Ich verzehre mich vor Leidenschaft nach IHM, auch wenn er mich behandelt wie den letzten Dreck. Wenn er mich bloßstellt, wie in der U-Bahn. Aber kann ich IHM das übel nehmen? Ich stehe zu meiner Arbeit, zu meinem Ich. Er nicht, jedenfalls nicht zu seinem Ich. Mhm. Scheint, als wäre ich wirklich verliebt in ihn. In Brix Mendelssohn.

44
    Shahin
     
    Als ich wieder einigermaßen klar im Kopf werde, ist es Mitternacht, gerade noch die richtige Zeit, um auszugehen. Wenn es einem genügt, ein paar sinnlose Gespräche an Theken mit Leuten zu führen, die du außerhalb der Szenekneipen nicht einmal mit dem verlängerten Rücken anschauen würdest, geschweige denn Gespräche mit ihnen zu führen.
    Also, einfach ein paar bequeme Klamotten übergestreift, – herausputzen ist nicht nötig, denn ich will heute einfach nur abschalten und »ganz normal« sein (manch einer würde es flüchten nennen) – und ab in eine der Kneipen, die ich nur zu diesem Zweck frequentiere. Das »Carpaccio« ist eine dieser Lokalitäten, ein auf mediterran getrimmtes Nachtlokal, hutschachtelgroß, ein paar Tische, Theke, zwei Toiletten. Aber genau richtig für diesen Zweck. Dachte ich. Als ich doch dort ankomme, treffe ich als Erstes ein paar

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