Poison (German Edition)
Jungs, die ich vom Sehen kenne. Aus der Blue Boy Bar, »Kollegen« sozusagen, aber aus dem niedrigeren Preissegment, um es vorsichtig zu umschreiben. Höflich, wie ich bin, grüße ich sie, geselle mich sogar dazu und lasse ein paar banal klingende Phrasen über die allgemein schlecht laufenden Geschäfte los – wenn die wüssten!!! – und versuche, unauffällig zu erfahren, ob es etwas Wissenswertes, Neues gibt.
»Dein Freund hat auch nach dir gefragt«, erzählt der eine mir. Mein Freund?
»Wie sah der denn aus?«, frage ich.
»Groß, braune Haare, einfach geil.« Prima Beschreibung. Damit kann ich echt was anfangen, Kleiner. Aber was soll’s, man kann ein intellektuelles Niveau ja nicht auf Knopfdruck verändern, das dauert seine Zeit. Auch bei dir, ich bin mir sicher.
Wahrscheinlich irgendein Typ, der mich scharf fand, und wissen will, wie er an mich rankommt. Freund. Von wegen. Davon wüsste ich etwas. Ich führe noch ein paar belanglose Gespräche und gebe den Jungs ein paar harmlose Tipps zum Gebrauch von Gleitmitteln, Kondomen und Toys. Dann gebe ich der zunehmenden Langeweile nach und schlendere gleichmütig zu Lars, den ich als Streetworker der AIDS-Hilfe Berlin e.V. kenne, und der einen ziemlich wüst aussehenden Typen im Schlepptau hat. »So würde ich mir den modernen Jesus vorstellen«, denke ich noch, »aber Jesus war bestimmt nicht so rundlich.« Der Typ ist einsfünfundsiebzig groß, rundlich, hat lange blonde Haare mit einem Stich ins Graue, ist schätzungsweise 45, hat einen wallenden blonden Bart und eine Nickelbrille. Kurze Hosen, Sandalen mit nackten, immerhin unbehaarten Füßen im Gegensatz zu den krisseligen blonden Haaren an Armen und Beinen, ein offenes helles Leinenhemd und eine Safarijacke runden das Stimmungsbild von Indiana Jones ab, an den ich bei diesem Anblick unweigerlich denken muss.
»Hi, Shahin«, begrüßt Lars mich. »Das ist Jakob. Ein Kollege aus Frankfurt.« – »Hallo, Jakob«, sage ich. Aus Frankfurt? Nie gesehen.
»Wir haben ein Seminar für Streetworker zurzeit in Berlin«, plaudert Lars weiter, »und da zeige ich Jakob mal die Szene. Und was treibst du so Schönes?«
Ich grinse schief. »Das Übliche. Abspannen, ausruhen, und so weiter.« Natürlich hat er mitbekommen, wie ich mit den Jungs geredet habe, und über welche Themen. Soll er doch froh sein, kann er sich das Thema schenken. Und dieser Jakob mustert mich die ganze Zeit unverhohlen, jedoch ohne ein Wort zu sagen. Ich beschließe, dass dieser Typ mich interessiert, ich wollte mich ja sowieso ablenken. Also richte ich meine ganze Aufmerksamkeit auf ihn und wundere mich: »Komisch, ich habe eine Weile in Frankfurt gelebt, bin dir aber nie begegnet. Jedenfalls nicht bewusst.«
Jakob zieht eine Augenbraue hoch.
»Bist du schwul?«, fragt er mich, lapidar, ohne jeglichen Anflug von Emotion. Ich nicke, wundere mich jetzt wirklich.
»In Frankfurt sind die meisten Jungs, die anschaffen gehen, hetero, und machen diesen Job nur wegen dem Geld oder Drogen.«
Das wusste ich nicht, jedenfalls nicht in dieser Brisanz. »Aha. Das ist mir neu«, sage ich, und jetzt hat er wirklich meine Aufmerksamkeit.
»Frankfurt hat zwei Probleme«, fährt Jakob fort. »Frankfurt ist die Stadt der Banker und des Geldes, was die Menschen arroganter und oberflächlicher macht als in den meisten anderen Städten. Dadurch werden die, die Geld haben, noch krasser getrennt von denen, die keins haben. Und das führt nicht nur zu einem räumlichen, sondern auch zu einem emotionalen Abstand. Es fällt den Reichen also wesentlich leichter, einen Menschen, der arm ist, schlecht zu behandeln. Die Ware »Mensch« wird daher nur sehr gering eingeschätzt, was in eurem Job natürlich zu ... Ausfällen führt. Aber wie du weißt, ist dieses Geschäft ein hartes Brot, und um die, die übrig bleiben, kümmern wir uns.«
Wir?
»Wer ist WIR?«, frage ich Jakob.
»Wir ist Kiss, die Krisen-Interventions-Stelle für Stricher. Also der Anlaufpunkt für Jungs, die anschaffen. Die Stelle, wo ihr duschen, kochen, essen, schlafen oder spielen könnt, wo ihr eure Ruhe habt und wo euch keiner benutzt. So etwas gibt es in Berlin auch, am Nollendorfplatz, hier schräg gegenüber. Also, wenn du mal Ruhe willst, geh dorthin, Lars heißt dich da willkommen.« Mit diesen Worten deutet er auf Lars, dem das Ganze sichtbar peinlich ist. Mir nicht, im Gegenteil.
»Engagierter Typ«, raune ich Lars zu. »Okay, danke«, antworte ich Jakob. »Wenn ich wieder mal in
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