Polar Star
selbst ein gewissenhafter Bootsmann während der gesamten Reise höchstens ein-, zweimal aufsuchte. Nur ein Guckloch in einer Nische der wasserdichten Luke deutete darauf hin, daß es sich hier um keinen gewöhnlichen Zugang handelte. Bevor Arkadi anklopfen konnte, sprang die Luke mit einem Luftknall auf, der sich anhörte, als entkorke jemand eine Flasche. Kaum war er eingetreten, da hatte die Luke sich auch schon hinter ihm geschlossen, und Arkadi spürte einen starken Druck auf sein Trommelfell.
Im Licht einer roten Glühbirne, die schirmlos von der Decke hing, sah er Anton Hess in einem Drehstuhl sitzen. Bei dieser diffusen Beleuchtung hatten seine wild zu Berge stehenden Haare direkt etwas Verwegenes. Hinter Hess flimmerten drei Monitore, die an das Echolot der Brücke angeschlossen waren; auf ihren Bildschirmen wogten drei grüne Ozeane über drei orangefarbenen Meeresböden. Der Ingenieur sah aus wie ein Magier, der mit Bottichen voll fluoreszierender Farbe hantiert. Zu seiner Linken befanden sich zwei Loran-Systeme mit Leuchtfadenkreuzen, die Längen- und Breitengrade auf Karten markierten, ein Verfahren, das den Planschreibern entsprach, die Arkadi auf der Eagle gesehen hatte, und doch konnte sich die technische Ausrüstung auf Martschuks Brücke mit diesem hochmodernen Apparat in keiner Weise messen. Rechts neben Hess standen ein leeres Oszilloskop und ein Schallortungsgerät, komplett mit Überblendungseinrichtung und Kopfhörern. Darüber befand sich ein Monitor, dessen Bildschirm in grauen Halbtönen den Durchgang zwischen Kettenkasten und Laderaum zeigte, in dem Arkadi eben noch gestanden hatte. Ferner gab es eine kleine Computerzentraleinheit und ein Gestell voller Gerätschaften, die Arkadi freilich in dem rötlichen Dunstschleier nicht klar erkennen konnte, wenngleich sämtliche Apparaturen nebst Tisch und Feldbett in einem Raum zusammengepfercht waren, der nicht größer schien als ein geräumiger Kleiderschrank. Ein U-Bootfahrer mochte sich hier allerdings ganz wie zu Hause fühlen.
»Ich wundere mich nur, daß Sie solange gebraucht haben, um mich zu finden«, sagte Hess.
»Ich auch.«
»Nehmen Sie Platz.« Hess deutete auf die Pritsche. »Willkommen in unserer kleinen Funkstation. Leider herrscht hier Rauchverbot, weil die Luftzirkulation fehlt, aber es ist wie bei den Fallschirmjägern: Jeder schnürt seinen Schirm selber und ist folglich auch allein dafür verantwortlich. Ich habe diesen Raum hier entworfen, also kann ich auch niemand anderem die Schuld an irgendwas geben.«
Ein Grund dafür, daß die Funkstation so klein war, bildete die schwere Schallisolierung sämtlicher Oberflächen; sogar ein künstliches Deck hatte man eingezogen, dessen schalldichte Platten das Knirschen von Eis auf Stahl dämpften. Als Arkadis Augen sich an die diffusen Lichtverhältnisse gewöhnt hatten, entdeckte er noch einen zweiten Grund für die Enge: Im Deck war dort, wo die Schotten zusammenstießen, eine weiße Hemisphäre von einem Meter Durchmesser verankert. Und diese Kuppel schien der Deckel von irgendeiner größeren Apparatur zu sein, die offenbar direkt in den Schiffsboden eingelassen war.
»Beachtlich«, sagte Arkadi.
»Ach nein, eher bemitleidenswert. Sie sehen hier den verzweifelten Versuch, die mangelnde Fairneß der Geographie sowie die Last der Geschichte auszugleichen. Kein größerer Hafen der Sowjetunion mit direktem Zugang zum offenen Meer ist nicht sechs Monate im Jahr durch Eis blockiert. Von Wladiwostok aus muß unsere Flotte entweder durch den Kurilen-Graben oder durch die Straße von Korea. Im Kriegsfall würden wir wahrscheinlich kein einziges Überwasserschiff aufs offene Meer rausbekommen. Na ja, zum Glück gibt’s ja U-Boote!«
Auf den drei Monitoren sah Arkadi ein orangefarbenes Flechtwerk wellengleich anschwellen, das Signal dafür, daß Grundfisch zur Nahrungsaufnahme hochstieg. Niemand wußte, warum, aber der Fisch bevorzugte nun einmal verschmutztes Wasser. Hess hielt Arkadi etwas Glitzerndes vor die Nase: eine Taschenflasche voll Brandy auf Körpertemperatur.
»Unter Wasser sind wir dem Gegner also ebenbürtig?«
»Wenn man davon absieht, daß sie sechzig Prozent ihrer Raketenträger ständig auf Patrouille halten können, während uns das nur mit knapp fünfzehn Prozent gelingt. Außerdem sind ihre Schiffe leiser, schneller und tauchen tiefer. Aber hier kommt Ironie ins Spiel, Renko. Ich weiß, Sie schätzen Ironie ebenso wie ich. Der einzige Ort, wo unsere U-Boote
Weitere Kostenlose Bücher