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Polar Star

Polar Star

Titel: Polar Star Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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und dann ganz allein und bei Nacht ins Wasser torkeln.«
    »Ich habe mich schon gefragt«, sagte Natascha, »was Sie vorhaben, wenn wir wieder in Wladiwostok sind. Als er noch lebte, hat Genosse Wolowoi angedeutet, daß Sie Schwierigkeiten mit den Grenzkontrollen bekommen könnten. Da dürfte ein positiver Leumund seitens Ihrer Schiffskameraden hilfreich sein, vor allem, wenn es Parteimitglieder sind, die sich für Sie verwenden. Vielleicht möchten Sie ja irgendwo anders noch mal von vorn anfangen. Auf dem Jenissei werden zur Zeit ein paar sehr schöne Wasserkraftwerke gebaut. Die Arbeiter dort bekommen den üblichen Polarbonus, und außerdem gibt es einen Monat Urlaub an einem Ort ihrer Wahl. Sie würden doch im Handumdrehn lernen, mit einem Kran umzugehen.«
    »Danke, ich wird’s mir überlegen.«
    »Wie viele ehemalige Ermittlungsbeamte aus Moskau können sagen, daß sie einen Damm gebaut haben?« fragte Natascha.
    »Nicht viele.«
    »Wir könnten uns eine Kuh halten. Ich meine, Sie könnten sich eine Kuh anschaffen, wenn Sie mögen. Jeder dort, der eine Kuh halten möchte, kriegt eine Genehmigung. Und ein eigenes Stück Land hätten Sie außerdem. Da wäre dann auch Auslauf für ein Schwein. Oder sogar Hühner, obwohl man für Geflügel im Winter ein warmes Plätzchen braucht.«
    »Eine Kuh? Hühner?« Arkadi schüttelte den Kopf. Was war das jetzt wieder?
    »Der Jenissei - ein interessantes Gebiet«, sagte Kolja versonnen.
    »Sehr interessant sogar«, bekräftigte Natascha. »Wunderschöne Taiga mit Kiefern und Lärchen. Wild, Mooshühner.«
    »Und eßbare Schnecken«, ergänzte Kolja.
    »Aber man kann sich ja auch eine Kuh halten. Platz für ein Motorrad. Picknicks am Flußufer. Eine junge, moderne Stadt voller Leben, voller Kinder. Sie …«
    »Verstand Sina etwas von Schiffen?« unterbrach Arkadi ihren schwärmerischen Redefluß. »Ich meine, kannte sie sich mit den Fachbegriffen aus, wußte sie, wie man die verschiedenen Teile eines Schiffes nennt?«
    Natascha traute ihren Ohren nicht. »Sina? Schon wieder?«
    »Wenn Sie >Fischraum< gesagt hätte, was hätte sie damit gemeint?«
    »Sina ist tot. Und die Ermittlungen sind abgeschlossen.«
    »Hätte sie den eigentlichen Fischladeraum gemeint oder irgendwas in der Nähe?« fragte Arkadi unbeirrt weiter.
    »Sina wußte nichts von Schiffen, nichts von ihrer Arbeit, sie kannte überhaupt nichts außer ihren eigenen Interessen. Und sie ist tot«, sagte Natascha erbittert. »Woher diese plötzliche Faszination? Als sie noch lebte, haben Sie sich nicht den Deut um sie gekümmert. Es war etwas anderes, als der Kapitän Sie mit den Ermittlungen über ihren Tod beauftragt hatte. Aber mittlerweile ist Ihr Interesse an Sina ja direkt krankhaft, jawohl krankhaft und widerlich.«
    Arkadi zog sich die Stiefel an. »Da könnten Sie recht haben«, sagte er.
    »Ach, Arkascha, es tut mir leid. Das hätte ich nicht sagen sollen. Bitte, verzeihen Sie mir.«
    »Sie brauchen sich nicht dafür zu entschuldigen, daß Sie mir ehrlich Ihre Meinung gesagt haben.« Arkadi griff nach seiner Jacke.
    »Ich hasse das Meer.« Natascha seufzte. »Ich hätte nach Moskau gehen sollen. Dort hätte ich Arbeit in einer Fabrik gefunden und mir einen Mann suchen können, der zu mir paßt.«
    »Die Fabriken sind Ausbeutungsbetriebe«, sagte Arkadi, »und Sie hätten sich mit einem Platz in einem Wohnheim begnügen müssen, wo einen von den Nachbarn nichts weiter als ein Vorhang trennt. Die Heime sind grauenhaft überfüllt. Sie hätten entsetzlich gelitten. Eine große Blume verdient viel Platz.«
    »Ja, das stimmt wohl.« Sie war sichtlich geschmeichelt.
     
    Unter Deck, im Bugraum, dröhnte und stampfte es so, als bräche die Polar Star nicht nur durch eine Eisdecke, sondern als pflügte sie durch eine unsichtbare Landschaft, wo sie Häuser und Bäume niederwalzte und ganze Felsblöcke zur Seite schob. Arkadi wäre nicht überrascht gewesen, wenn er gesehen hätte, wie Betten oder Äste den rostigen Stahlrumpf durchbohrten. Was wohl die Ratten davon halten mochten, die doch schon vor Generationen das Festland verlassen hatten? Ob dieser Lärm uralte Erinnerungen und wirre Träume in ihren Schlaf trug?
    Sina hatte »Fischraum« gesagt, aber sie konnte nur den Kettenkasten daneben gemeint haben. Dieser Raum war der tiefste und am weitesten vorgelagerte des Schiffs, ein winkliger Behälter für allen möglichen Kleinkram, normalerweise vollgestopft mit Ankerketten und Trossen, ein dunkles Kabuff, das

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