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Polar Star

Polar Star

Titel: Polar Star Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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Taschenlampe. »Bist du immer noch hier?« fragte er. Doch im nächsten Augenblick erkannte er Arkadi, schlug die Luke zu und verriegelte sie.
    Arkadi kletterte die Leiter zur nächsten Ebene hinauf. Die Luke war verschlossen. Er hastete weiter zur Ebene, auf der er eingestiegen war, sein Herz hämmerte, als wäre in seinem Körper noch ein anderer Mensch eingeschlossen, der ihn die Sprossen hinaufhetzte. Arkadi stieß die Luke auf, rannte zur Treppe und sauste hinunter. Als er von außen wieder auf der untersten Ebene des Laderaums anlangte, war Pawel verschwunden, doch die nassen Fußabdrücke auf dem metallenen Deck zeigten wie Pfeile in die Richtung, die er genommen hatte. Daneben führten die schon fast getrockneten Spuren eines anderen Stiefelpaares den gleichen Weg entlang.
    Arkadi rannte los, versessen darauf, den Gegner einzuholen. Die Spuren führten nach achtern, vorbei am zweiten Fischladeraum und über die Treppe mittschiffs zum vorderen Kran auf dem Trawldeck. Keine Menschenseele zu sehen - weder Pawel noch sonst jemand. Der Regen, der auf die Decksplanken niederging, wusch sie blank und verwischte alle Spuren. Arkadi steckte die Taschenlampe ein und holte statt dessen sein Messer hervor. Die große Lampe an der Winsch war ausgeschaltet; die Kranlampen trugen dicke Eiskrusten. Über das Deck hin starrte der Eingang zur Heckrampe ihm entgegen wie ein schwarzes Loch.
    Jetzt brauchte er keine Richtungspfeile mehr. Erstaunlich schien nur, daß er noch nie zuvor auf der Rampe gewesen war. Die Lampen am Portalkran erfaßten eben noch die rauhe Wandbespannung und die übereinandergreifenden Eiszacken am oberen Rand der Schlippe. Doch mit jedem Schritt, den er weiter hinunterkam, wurde das Licht schwächer und der Neigungswinkel der Rampe abschüssiger. Weit vorn stieß der Bug der Polar Star auf eine kompaktere Eisschicht, und der Aufprall ließ den Rumpf erzittern. Tief im Heck, in der Rampe, die wie ein Resonanzboden wirkte, schwoll das Beben an und hallte einem Stöhnen gleich von den Wänden wider. Eine Welle rollte von achtern über die Rampe und verebbte mit einem Seufzer, ähnlich wie eine Meermuschel Töne erweitert und verstärkt oder wie das innere Ohr Herztöne taxiert.
    Sollte er ausrutschen, würde Arkadi nur noch das Sicherheitsgatter vom Wasser trennen. So gut es ging, hielt er sich an der Seitenwand der Rampe fest, als er spürte, wie deren Oberfläche nachgab. Oben, am Treppenabsatz, wurde eine zweite schwache Lichtquelle sichtbar. Er merkte, daß die Kette des Sicherungsgatters an ihrem Haken an der Rampenwand festgemacht war, das Gatter selbst war hochgezogen. Er schaffte es nicht mehr, den Haken zu fassen, und kam ins Rutschen. Zuerst nur ein kleines Stückchen, jene ersten Millimeter, die einem schlagartig klarmachen, in welcher Lage man sich befindet, dann mit zunehmendem Schwung, der sich mit der stärker werdenden Neigung der Rampe nahezu verdoppelte. Alle viere ausgestreckt, das Gesicht nach unten, die Finger ins Eis gekrallt, schlitterte er auf eine von weißem Schaum gekrönte Welle zu, während das Messer, das seiner Hand entglitten war, klirrend ins Leere schoß. An der äußersten Kante öffnete sich die Rampe über dem schwarzen Strudel der Fahrrinne. Arkadi hörte nur noch das Quietschen der Schrauben und das Knirschen des Eises. Als das Wasser ihm schon drohend entgegenschwappte, bekam er an der Rampenwand neben sich ein Tau zu fassen, das er sich ums Handgelenk schlang. Er konnte seinen Sturz bremsen und sah noch unter sich einen Mann stehen; wie ein Wellenreiter trotzte er den Wogen, die den Boden der Rampe umspülten und nach seinen Stiefeln leckten. Um seine Taille war eine Leine geschlungen.
    Karp trug einen dunklen Pullover und hatte die Wollmütze tief in die Stirn gezogen. Was er in den Händen hielt, sah aus wie ein Kissen. »Zu spät!« rief er Arkadi zu und warf das Ding rückwärts ins Wasser. Daran, wie dumpfes aufschlug und unterging, merkte Arkadi, daß das Päckchen mit Gewichten beschwert war. »Ein Vermögen«, sagte Karp. »Da steckt alles drin, was wir besaßen. Aber Sie hatten recht, wenn wir nach Wladiwostok zurückkommen, werden sie das ganze Schiff auseinandernehmen.«
    Karp, der nun beide Hände frei hatte, lehnte sich zurück und steckte sich eine Zigarette an. Er bot das Bild eines Mannes, der sich aller Sorgen entledigt hat. Der phosphoreszierende Schimmer, der auf dem Kielwasser tanzte, verlor sich nach einigen Metern in der Dunkelheit. Arkadi

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