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Polar Star

Polar Star

Titel: Polar Star Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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schlafen.«
    Gott sei Dank, dachte Arkadi.
    »Arkadi«, flüsterte Kolja kurz darauf, »bist du noch wach?«
    »Was ist?«
    »Hast du Natascha in letzter Zeit mal genauer angesehen? Sie sieht gut aus.«
    Im Traum sah Arkadi, wie Sina Patiaschwili die Bucht von Wladiwostok durchschwamm, die genauso dalag, wie Slawa sie beschrieben hatte, nur daß die Sonnenanbeter lauter Robben waren, die sich im Sand wälzten und ihre Köpfe mit den langbewimperten, orientalischen Augen himmelwärts reckten. Sina trug denselben Bikini, mit dem sie an jenem sonnigen Tag an Deck der Polar Star herumstolziert war. Dazu dieselbe dunkle Brille, dasselbe blonde Haar mit den verräterisch dunklen Wurzeln. Es war ein herrlicher Tag. Längliche Bojen umsäumten wie Zuckerstangen das flache Kinderbecken. Vom nahegelegenen Verladehof waren einzelne Baumstämme abgetrieben worden, auf denen einige Jungen herumpaddelten, als wären es die Kanus eines Kriegervolks.
    Weiter draußen, noch jenseits der Segelboote, die auf den Wellen tanzten, schwamm Sina; jetzt drehte sie sich auf den Rücken, damit sie die ineinandergreifenden Baumkronen der Stadt sehen konnte, die Bürogebäude und die römischen Säulen des Stadions.
    Das »Dynamo-Stadion«. Jede Stadt hatte ihr Dynamo-, Spartakus- oder Torpedo-Irgendwas. Warum gab man den Stadien eigentlich immer solche Namen und nannte nicht zur Abwechslung einmal eines Kurzschluß- oder Pleite-Stadion?
    Sina tauchte in stillere, kühlere Gewässer, in die das Licht nur noch schräg drang, wie durch eine Jalousie, erreichte eine Tiefe, in der das Wasser zugleich durchscheinend und tintenschwarz schimmerte, und schraubte sich von dort mit eleganten Stößen bis hinunter auf den weichen, lautlosen Grund der Bucht. Ein Fisch schoß an ihrem Gesicht vorbei, ja, ganze Fischschwärme begleiteten sie: Heringe so glitzernd wie ein Münzenregen, blaue Ströme von Kerzenfischen, der flüchtige Schatten eines Rochens, der vor zwei blendenden Scheinwerfern floh, die sich mit der Geschwindigkeit eines heranrasenden Zuges näherten. Stählerne Trawltüren gruben sich zu beiden Seiten in den Meeresgrund und schickten Wolken aufgewühlten Schlamms empor. Die Lichter an den Bugleinen blendeten das Mädchen, und doch sah es, wie der Grund förmlich explodierte, als das Fußtau niederging, sah Geysire von Schlick und Welle über Welle von Grundfisch nach oben schnellen. Doch so verzweifelt die Fische dem Schleppnetz auch zu entkommen suchten, es fing sie alle unbeirrbar ein. Sina wurde erst durch eine Wasserwand von dem Mahlstrom fortgetrieben, dann aber, im Gegendruck, geradewegs hineingepreßt in das verschlungene Geflecht aus gespanntem Netzwerk, Schlickwolken und glitzernden Fischschuppen.
    Schweißnaß, als sei er eben dem Meer entstiegen, schreckte Arkadi aus seinem Traum hoch. Er hatte Natascha erklärt, es käme nur darauf an zu sehen, was man vor Augen habe, dazu bedürfe es keines Genies. Wie bewerkstelligte man Schmuggel auf offener See? Was kam und ging zwanzigmal am Tag? Wo würde ein Trawlmaster die eingeheimste Beute verstecken? Und plötzlich stand es ihm klar vor Augen: Wo hatte man ihn auf der Polar Star angegriffen?
     
    Diesmal vergaß Arkadi die Taschenlampe nicht. Ratten huschten über die Balken, schlüpften zwischen den Planken durch und beäugten ihn mit roten Stecknadelaugen, als er die Leiter hinunterkletterte und sich zum vorderen Laderaum schlich. Kühlrohre echoten unter dem wendigen Trippeln des Rattenvolks. Zumindest kam ihm der Weg bei Licht kürzer vor.
    Sorgfältig tastete er den Boden des Laderaums ab und dachte daran, wie er beim letztenmal ein loses Brett aus der Täfelung gebrochen und damit die Wände abgeklopft hatte, um einen Leutnant des Marinenachrichtendienstes aus seinem Versteck zu trommeln, während er die ganze Zeit über höchstwahrscheinlich auf dem Deckel einer Schatztruhe gestanden hatte.
    Der Strahl der Taschenlampe fand das abgerissene Brett, die Farbdosen und die Decke, und auch das Katzenskelett war noch da. Allerdings hatte es beim letztenmal mitten im Raum gelegen, während es nun in einer Ecke zusammengeschoben war. Auf den Bodenplanken entdeckte er Fußspuren und Einkerbungen. Er fuhr mit der Hand darüber. Nein, keine Kerben - Wasser.
    In diesem Moment öffnete sich die Luke auf Arkadis Ebene, und Pawel, der Decksmann aus Karps Brigade, schlüpfte herein. Er trug einen Helm, und seine Jacke war vom Regen völlig durchnäßt. Er hob die Hand und blinzelte ins Licht der

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