Polar Star
um an ihr vorbeizukommen, und er wußte, daß er, sowie er das Seil losließ, die Rampe hinunter und ins Wasser rutschen würde. Schon jetzt gaben seine Stiefel unter ihm nach. Wie schaffte Karp es nur, wie ein Teufel, der mit Zauberkräften eine Treppe hinauffliegt, die Schräge zu überwinden?
»Dafür hat sich’s gelohnt zu warten«, sagte Karp. Er gab dem Seil einen Ruck, so daß Arkadi wieder das Gleichgewicht verlor, und dann packte er ihn an der Jacke.
»Arkadi, sind Sie das?« rief Natascha.
»Ja!«
Der Schatten, der sich oben über die Rampe beugte, war also nicht Pawel. Nun, da er dichter herankam, sah er, daß der vermeintliche Südwester ein Schal war, den Natascha sich um den Kopf geschlungen hatte.
»Wer ist denn da bei Ihnen?« fragte sie.
»Korobets«, sagte Arkadi. »Sie kennen doch Korobets?«
Arkadi hörte fast, wie der Trawlmaster fieberhaft seine Chancen berechnete. Würde es ihm gelingen, ihn und Natascha zu erwischen, bevor sie übers Trawldeck fliehen und um Hilfe rufen konnten?
»Wir beide sind alte Freunde.« Karp hielt Arkadi immer noch mit eisernem Griff an der Jacke fest. »Wir kennen uns schon sehr lange. Helfen Sie uns herauf.«
»Gehen Sie zurück an Deck«, sagte Arkadi zu Natascha. »Ich komme gleich nach.«
»Sie beide?« fragte Natascha mißtrauisch. »Sie sind befreundet?«
»Gehen Sie! Rasch!« befahl Arkadi. Er rührte sich nicht vom Fleck, damit Karp nicht an ihm vorbeikonnte.
»Was ist denn da unten los, Arkadi?« Natascha wich nicht von der Stelle.
»Warten Sie, Genossin!« rief Karp ihr zu.
»Ja, warten Sie hier«, bekräftigte Pawel, der jetzt über Natascha an der Rampe auftauchte. Er hielt eine Axt in der Hand.
Arkadi gelang es, Karp ein Bein zu stellen. Der Trawlmaster fiel vornüber und rutschte die Rampe hinunter, soweit seine Rettungsleine reichte. Arkadi hatte gehofft, er würde ins Wasser stürzen, doch Karp blieb hart über dem Kielwasserkamm hängen. Im Nu war er wieder auf den Füßen und erklomm die Rampe aufs neue, doch da hatte Arkadi schon den Haken erreicht, an dem die Kette befestigt war, die das Sicherungsgatter hochhielt. Er klinkte sie aus. Mit einem scharfen Luftzug schwang das Gatter herunter und rastete mit metallischem Klicken vor Karps Nase ein, so daß der Trawlmaster am unteren Ende der Rampe gefangen war.
Arkadi hastete an Natascha vorbei. Hinter sich hörte er Karp am Gatter rütteln, als wolle er das Stahlgeflecht mit bloßen Händen zerreißen. Dann war es plötzlich still. »Renko …«, drang die Stimme des Trawlmasters die Rampe hoch.
Pawel zögerte, als Arkadi auf ihn zukam. Seine Augen traten groß und rund aus den Höhlen; offenbar fürchtete er sich mehr vor Karp als vor Arkadi. »Sie versauen alles. Er hat’s gleich gesagt.«
Karps Lachen hallte von der Rampe wider. »Renko, he, wohin wollen Sie denn fliehen?«
»Verpiß dich!« Natascha hatte den Ton getroffen, und Pawel machte sich davon.
»Wir sind doch ein gutes Team, nicht?« fragte Natascha.
Sie war noch ganz aufgekratzt und stolz auf die geglückte Flucht von der Rampe. Ihre Augen blitzten, und eine lange Haarsträhne, die sich gelöst hatte, hing ihr in die Stirn. Arkadi führte sie in die Cafeteria, die sich, wie sie beim Eintreten feststellen konnten, wieder in einen Tanzsaal verwandelt hatte.
Diesmal war die Festlichkeit nicht über Lautsprecher angekündigt worden. Slawa Bukowski, der für die Unterhaltung der Mannschaft zuständige Offizier, hatte zum Zwecke der moralischen Aufrüstung spontan seine Kapelle zusammengerufen und den Arbeitern unter Deck melden lassen, daß es in der Cafeteria Musik geben werde. Netze wurden keine erwartet, die Nacht war stürmisch, und so hatte die gesamte Mannschaft sich in ihren stickigen Kabinen gelangweilt. Jetzt drängten sie alle lebhaft und fröhlich in die Cafeteria. Diesmal waren keine Amerikaner dabei, nicht mal die von der Polar Star, und es wurde auch kein Rock gespielt. Die verspiegelte Kugel an der Decke drehte sich und ließ ihre blitzenden Reflexe wie Schneeflocken auf die Paare niederrieseln, die langsam und verträumt ihre Kreise zogen. Auf dem Podium entlockte Slawa seinem Saxophon einen süßmelancholischen Blues.
Arkadi und Natascha zwängten sich zu Dynka und Madame Malsewa auf eine Bank im Hintergrund. Die junge Usbekin klatschte in die Hände. »Ach, ich wünschte, mein Ahmed wäre jetzt hier!«
»Ich habe die Musiker von der Schwarzmeerflotte gehört.« Die Malsewa drapierte würdevoll eine
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