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Polar Star

Polar Star

Titel: Polar Star Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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gleichen Weg, den Sina während der letzten Tanzveranstaltung sieben Nächte zuvor genommen hatte. Wie er von Slawa wußte, hatte sie einen Plastikbeutel aus einem Topf geholt. Was war in diesem Beutel gewesen? Und warum Plastik?
    Doch die nächsten Zeugen, die Aussagen über ihren Verbleib machen konnten, hatten sie erst wieder oben an Deck gesehen.
    Arkadi öffnete die Tür zum Gang gerade so weit, daß er Pawel erkennen konnte, der nervös an seiner Zigarette zog und Ausschau hielt, ob sich jemand vom Tanz entfernte. Im nächsten Moment ging die Melodie von »Schwarze Augen« in wüstem Geschrei unter: »He da! Licht!« - »Geh von meinen Füßen runter, du Trampel!« Pawel steckte den Kopf in die Tür zur Cafeteria, um nachzusehen, was da drinnen los war, und im selben Augenblick schlüpfte Arkadi aus der Kombüse und eilte den Korridor entlang.
    Wer außer Kolja Mer konnte jetzt noch an der Reling stehen und die Freuden des Regens genießen, der sich in nasse, prickelnde Schneekristalle verwandelte und unter dem Druck des sinkenden Nebels seitwärts trieb? Als Arkadi vorbeihasten wollte, packte Kolja ihn am Arm.
    »Du, ich wollte dir doch von den Blumen erzählen.«
    »Was denn für Blumen?«
    »Na ja, wo ich sie gepflückt habe, verstehst du?« Bloße Finger lugten aus Koljas abgeschnittenen Handschuhen hervor.
    »Meinst du die Schwertlilien?«
    »Genau. Natascha habe ich erzählt, ich hätte sie am Straßenrand vor dem Laden in Dutch Harbor gepflückt. Aber in Wirklichkeit wachsen Lilien weiter oben. Ich hab gesehen, wie du in meinem Notizbuch geblättert und die Einträge überprüft hast. Du weißt also, daß ich sie auf dem Hügel gefunden habe. Arkadi, ich hab gesehen, wie du dem Amerikaner nachgestiegen bist.« Kolja holte tief Luft, um sich Mut zu machen. »Wolowoi hat mich ausgequetscht.«
    »Was denn, Wolowoi ist dir auf dem Hügel begegnet?«
    »Er war hinter dir her. Er hat sogar gedroht, mir meine Blumen wegzunehmen, wenn ich ihm nicht helfen würde. Aber ich hab dich trotzdem nicht verraten.«
    »Das hätte ich auch nicht von dir erwartet. War er allein?«
    Sag nein, betete Arkadi heimlich. Sag, daß der Erste Maat Wolowoi mit Karp Korobets zusammen war, und wir können auf der Stelle gemeinsam zu Kapitän Martschuk gehen.
    »Es war so neblig, da konnte ich nicht erkennen, ob jemand bei ihm war«, sagte Kolja.
    Karp würde jede Minute an Deck auftauchen. Es sei denn, dachte Arkadi, er läuft unter Deck entlang, um mir vorn am Bug den Weg abzuschneiden.
    Kolja starrte hinauf in den nebelverhangenen Himmel. »Es war die gleiche Waschküche wie heute nacht. Gleich wird es aufhören zu schneien, und dann sind wir bald völlig eingenebelt. Ach, mir fehlt mein Sextant.«
    »Ohne Sterne würde er dir nicht viel nützen«, sagte Arkadi. »Geh rein, Kolja. Wärm dich auf. Tanz ein bißchen.«
    Wäre er nicht draußen im Freien gewesen, wäre Arkadi kaum aufgefallen, daß sich das Stampfen der Maschinen plötzlich veränderte. Der Widerhall der Schrauben klang auf einmal tiefer, und das konnte nur bedeuten, daß die Polar Star ihr Tempo gedrosselt hatte. Doch das glitzernde Flockentreiben schuf die Illusion, das Fabrikschiff presche immer noch vorwärts wie ein gut gewachster Schlitten. Unter sich spürte er das stoßweise Beben der Maschinen und das Bersten der Eisdecke unter den Stahlplatten am Bug. Über ihm hüllte der Schnee Ladegeschirr, Antennen, Peilempfänger und Radar in seinen weißen Mantel, dessen Widerschein im Lampenlicht noch verstärkt wurde durch die Nebeldecke, die unmittelbar darüber lagerte. Wenn man dem Augenschein trauen durfte, so flog die Polar Star förmlich zwischen zwei Meeren dahin, eines über, das andere unter ihr.
    Stiefel schlurften hinter Arkadi übers Deck. Vorn sah er einen Schatten die Stufen vom Bug hinuntergleiten. Arkadi schlüpfte unter dem Netz durch, das den Volleyballplatz einzäunte. Der Schnee auf den Maschen hatte sich in ein hauchdünnes Eiszelt verwandelt, das leise zitternd im Wind schwankte. Das Licht der Deckslampen warf verschwommene Schatten. Durch das schneebedeckte Netz sah er die beiden Gestalten aufeinandertreffen und sich beraten. Ich hätte mir in der Küche ein Messer einstecken sollen, dachte er. Das Volleyballnetz war samt seiner Verankerung abgebaut worden. Er konnte sich also auch nicht mit einem der Pfosten verteidigen, nicht einmal ein Ball lag mehr auf dem Spielfeld.
    Hintereinander betraten die schattenhaften Gestalten den Platz.
    Arkadi

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