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Polar Star

Polar Star

Titel: Polar Star Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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stand vor der Windschutzscheibe. Beide schienen nicht überrascht, Arkadi auf der Brücke zu sehen.
    »Sieh da, Genosse Jonas«, sagte der Kapitän leise.
    Es war kein Rudergänger auf der Brücke; der angrenzende Navigationsraum war leer. Der Maschinentelegraf stand zwischen »langsame Fahrt« und »Stop«.
    »Warum drosseln wir das Tempo so drastisch?« fragte Arkadi.
    Der Kapitän zeigte ein schmerzliches Lächeln. Er drückte seine Zigarette aus und sah aus wie einer, der das Leben von der letzten Stufe vor der Guillotine aus noch einmal Revue passieren läßt. Hess, der ganz in den wandernden Schatten eines Wischers versunken schien, stand höchstens einen Schritt hinter dem Kapitän.
    »Ich hätte Sie unten in der Fabrik lassen sollen«, sagte Martschuk zu Arkadi. »Sie waren in der Schmutzbrigade verschwunden wie Jonas im Bauch des Wals. Wir müssen verrückt gewesen sein, als wir Sie da rausgeholt haben.«
    »Stoppen wir etwa?« fragte Arkadi.
    »Wir haben ein kleines Problem«, räumte Hess ein. »Es gibt nämlich außer Ihnen auch noch andere Probleme, müssen Sie wissen.«
    Das Licht von draußen war fahl und kalt, aber der Flotteningenieur schien Arkadi dennoch besonders bleich zu sein.
    »Geht’s um Ihr Kabel?« fragte Arkadi.
    »Ich hab Ihnen ja gesagt«, brachte Hess Martschuk in Erinnerung, »daß er heute meine Station gefunden hat.«
    »Tja, Ihre Station ist wie die Perle in einer Auster, mithin mußte ein Mann von Renkos Fähigkeiten sie früher oder später aufspüren. Ein Grund mehr dafür, daß ich ihn hätte lassen sollen, wo er war.« Und zu Arkadi gewandt fuhr der Kapitän fort: »Ich habe ihm gesagt, daß der Grund hier zu zerklüftet und das Wasser zu seicht sei, aber er hat sein Kabel trotzdem ausgefahren.«
    »Ein Hydrophonkabel ist eigens so konstruiert, daß es sich nicht verhaken kann«, sagte Hess. »Von den U-Booten wird es ständig eingesetzt, ohne Rücksicht auf die lokalen Gegebenheiten.«
    »Und jetzt hat sich irgendwas im Kabel verheddert«, fuhr Martschuk fort, ohne Hess’ Einwurf zu beachten. »Vielleicht ein Stück von einem Krabbenkorb, vielleicht auch ein Walroßschädel. Oder Stoßzähne, die am Meeresgrund treiben. Jedenfalls können wir das Kabel nicht einholen, und die Spannung, die darauf lastet, ist zu groß, als daß wir schnellere Fahrt wagen dürften.«
    »Was immer sich da unten in der Leitung verfangen hat - irgendwann wird es sich schon wieder lösen«, sagte Hess.
    »Aber bis es soweit ist«, fiel Martschuk grimmig ein, »müssen wir so schneckengleich weiterkriechen, wie sich das im Eis und bei Windstärke sieben nur eben bewerkstelligen läßt. Die Kapitäne in der Marine, Genosse Hess, die müssen die reinsten Zauberer sein.« Als er sich eine neue Zigarette angezündet hatte und den ersten tiefen Zug nahm, spiegelte sich die Glut in seinen Augen wider. »Aber halt, fast hätte ich vergessen, daß ihr bei der Marine mit euren Kabeln von U-Booten aus operiert und nicht von einem schwerfälligen Fabrikschiff im Eis.«
    Die Polar Star erzitterte und hob sich ein wenig mit der unter dem Eisfeld verborgenen Dünung. Arkadi war zwar kein Ingenieur, aber auch er wußte, daß ein Schiff, gleich welcher Größe, einen gewissen Vortrieb brauchte, um das Eis sprengen zu können. Wenn sie weiter mit zu niedrigem Gang und gedrosselten Maschinen fuhren, dann würde es nicht mehr lange dauern, bis die Dieselmotoren den Kampf aufgaben. »Wie gut ist Morgan als Kapitän?« erkundigte er sich.
    »Das«, entgegnete Martschuk, »werden wir jetzt rausfinden. Ein Kahn wie die Eagle sollte die Meere mit Blick auf Kokospalmen befahren und Shrimps fangen, sich aber tunlichst nicht in die Nähe einer Eisdecke wagen. In der Fahrrinne nimmt der Wellengang zu, und dafür sind Bug und Deck der Eagle nicht hoch genug. Morgan dürfte eigentlich nicht so hart am Wind fahren, aber er muß eben dicht hinter uns bleiben, wenn er nicht im Eis steckenbleiben will. Ziemlich vereist ist seine Nußschale ohnehin schon, und sie wird topplastig.«
    Plötzlich merkte Arkadi auf. Ja, die Stille! Normalerweise war auf der Brücke immer ein Radio auf die Notfrequenz eingestellt. Martschuks Augen folgten Arkadis verwundertem Blick auf die SSB-Anlage. Der Kapitän trat hinter dem Ruder vor, um den Ton aufzudrehen; das Knistern deutete auf schwere atmosphärische Störungen hin.
    »Morgan hat noch keinen Notruf gesendet«, sagte Hess.
    »Er hat sich überhaupt nicht gemeldet«, präzisierte

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