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Polar Star

Polar Star

Titel: Polar Star Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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Babuschka um ihre Schultern, setzte jedoch wohlwollend hinzu: »Eigentlich spielt unser Dritter Maat gar nicht schlecht.«
    »Wir sollten zum Kapitän gehen«, flüsterte Natascha Arkadi ins Ohr, »und ihm melden, was passiert ist.«
    »Was könnten wir ihm schon erzählen? Sie haben nichts weiter gesehen, als daß Karp und ich dort unten waren. Ein Trawlmaster hat alle möglichen Gründe, sich auf der Rampe aufzuhalten. Ich dagegen habe nicht einen.«
    »Immerhin habe ich auch Pawel mit der Axt gesehen.«
    »Die Männer haben den ganzen Tag Eis gehackt. Wer weiß, vielleicht ist Pawel ein Held der Arbeit.«
    »Man hat Sie angegriffen.«
    »Ich habe das Gatter auf Karp fallen lassen, nicht umgekehrt, und Sie haben bloß gehört, daß er mich einen alten Freund nannte. Der Mann ist ein Heiliger.«
    Als nächstes erklang »Schwarze Augen«, ein sentimentales Lied, das von Zigeunerliebe handelte. Das Mädchen am Synthesizer imitierte in etwa das Zupfen einer Gitarre, während Slawa seinem Instrument lustvoll schluchzende Töne entlockte. Es war eine ebenso schamlose wie unwiderstehliche Melodie. Die Paare auf der Tanzfläche wiegten sich hingebungsvoll zu den schwülstigen Rhythmen.
    »Sie und Karp«, sagte Natascha, »das ist wie Maus und Schlange. Ihr könnt nicht beide in derselben Höhle hausen.«
    »Jedenfalls nicht mehr lange.«
    »Was wollten Sie eigentlich auf der Rampe?«
    »Möchten Sie tanzen?« fragte Arkadi.
    Natascha war im Nu wie verwandelt. Auf einmal leuchteten nicht nur ihre Augen, ihr ganzes Gesicht strahlte. Wie eine Dame, die ihren kostbaren Zobel abstreift, legte sie langsam Fischerjacke und Schal ab, gab beides Dynka und zog dann den Kamm aus ihrem Haar, das nun in weichen Wellen auf ihre Schultern herabfloß.
    »Fertig?« fragte Arkadi.
    »Und ob!« Auch ihre Stimme war weicher geworden.
    Sie bildeten ein ungleiches Paar: die vorbildliche Vertreterin der Partei und der Unruhestifter aus der Schmutzbrigade. Als Arkadi sie zwischen den Tischen hindurch zur Tanzfläche führte, begegnete Natascha den erstaunten Blicken der Genossen mit zugleich hochmütiger und gelassener Miene.
    In Rußland erwartet man nicht viel Platz zum Tanzen, man ist es gewöhnt, ständig von anderen Paaren angerempelt zu werden, wie ein Pendel in einer Flasche. Die Enge gehört zum Tanzen, und man nimmt sie gutgelaunt in Kauf, besonders mitten im Eis, wenn ein scharfer Polarwind die Luken mit Rauhreif überzieht. Trotz ihrer kräftigen Statur schien Natascha in Arkadis Armen zu schweben, behutsam schmiegte sie ihre Wange an die seine.
    »Ich entschuldige mich wegen meiner Stiefel«, hauchte sie.
    »Aber nein«, sagte Arkadi, »ich entschuldige mich wegen meiner Stiefel.«
    »Mögen Sie romantische Musik?«
    »Ich schmelze bei romantischer Musik.«
    »Ich auch.« Sie seufzte. »Ich weiß, daß Sie Gedichte lieben.«
    »So? Woher wissen Sie das?«
    »Ich habe Ihr Buch gefunden.«
    »Ach ja?«
    »Als Sie krank waren. Es lag unter Ihrer Matratze. Sie sind nicht der einzige, der weiß, wo man suchen muß.«
    »Tatsächlich?« Er hielt sie einen Moment lang von sich ab. Beunruhigt stellte er fest, daß ihr Blick auch nicht die Spur von Verlegenheit verriet. »Es sind gar keine Gedichte«, sagte Arkadi.
    »Bloß ein paar Aufsätze und Briefe von Mandelstam.« Daß das Buch ein Geschenk von Susan war, erwähnte er nicht.
    »Nun ja, die Aufsätze waren mir zu hochgestochen«, gestand Natascha, »aber die Briefe an seine Frau, die haben mir sehr gefallen.«
    »An Nadeschda?«
    »Ja, doch er hat ja noch so viele andere Namen für sie. Nadik, Nadja, Nadka, Nadenka, Nadjuscha, Nanuscha, Nadjuschok, Nanotschka, Nadenjisch, Niakuschka. Zehn insgesamt. Was für ein Dichter!« Sie schmiegte ihre Wange ein wenig fester an Arkadis.
    Slawa und sein Saxophon versenkten sich mit Hingabe in die »Schwarzen Augen« und verwandelten Kitsch in Seelenkunst. Langsam drehten sich die Tänzer unter der gemächlich rotierenden Kristallkugel. Die niedrige Decke und die flackernden Lichter verliehen dem Raum etwas Höhlenartiges, das beruhigend auf russische Gemüter wirkte.
    »Ihre Arbeit in der Fabrik habe ich immer bewundert«, gestand Natascha.
    »Und ich die Ihre.«
    »Sie haben soviel Geschick im Umgang mit den Fischen«, sagte sie, »besonders mit den schwierigen, den Seehechten.«
    »Und Sie verstehen sich so gut aufs … Entgräten.« Ich eigne mich nicht für so was, dachte Arkadi.
    Sie räusperte sich. »Diese Probleme, die Sie in Moskau hatten?

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