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Polar Star

Polar Star

Titel: Polar Star Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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Ich halte es für möglich, daß der Partei da ein Fehler unterlaufen ist.«
    Ein Fehler? Aus Nataschas Mund klang das so, als hätte sie gesagt, schwarz könne auch weiß sein, oder als hätte sie zumindest die Existenz von Grautönen zugestanden.
    »Seltsamerweise«, entgegnete er, »hat die Partei sich in dem Fall nicht geirrt.«
    »Jeder kann rehabilitiert werden.«
    »In der Regel nach seinem Tod, ja. Aber machen Sie sich keine Sorgen. Es gibt auch Leben außerhalb der Partei, es ist sogar ganz unglaublich, wieviel Leben es da gibt.«
    Natascha wurde nachdenklich. Ihre Überlegungen schienen ähnlich zu verlaufen wie die Bahnlinie Baikal-Amur mit ihren zahlreichen unvollendeten Streckenabschnitten und Tunnels, die in geheimnisvolle Richtungen abzweigten. Gedichte, Fisch, die Partei. Arkadi fragte sich, was ihr wohl als nächstes einfallen würde.
    »Ich weiß, daß es da eine andere gibt«, sagte Natascha. »Eine andere Frau, meine ich.«
    »Ja.«
    Hatte er etwa ein Schluchzen gehört? Hoffentlich nicht!
    »Das mußte ja so sein«, sagte sie nach einer langen Pause. »Ich wünsche mir nur eins.«
    »Und das wäre?«
    »Daß es nicht Susan ist.«
    »Nein, es ist nicht Suusan.«
    »Und es war auch nicht Sina?«
    »Nein.«
    »Die Frau ist also gar nicht hier an Bord?«
    »Nein, sie ist weit weg.«
    »Sehr weit?«
    »O ja, sehr weit«, versicherte er.
    »Dann bin ich beruhigt.« Sie lehnte den Kopf an seine Schulter.
    Ridley hat wohl recht gehabt, dachte Arkadi. Das ist zivilisiert, ja vielleicht der Gipfel der Zivilisation, wie sich diese Fischer und ihre Genossinnen in schweren Stiefeln auf dem Beringmeer im Takt der Musik hin- und herwiegen. Dr. Wainu klammerte sich an Olimpiada, als gälte es, einen Findling über die Tanzfläche zu rollen. Dynka, die mit einem der Ingenieure tanzte, hielt ihren Partner auf Armeslänge von sich weg. Hier und da, wo es sich nicht anders ergeben hatte, tanzten auch Männer mit Männern und Frauen mit Frauen, damit sie in der Übung blieben. Manche hatten sich die Zeit genommen, einen frischen Pullover überzuziehen, doch die meisten waren in ihren Arbeitssachen gekommen, ganz im Sinne dieser improvisierten Festivität. Auch Arkadi fand Vergnügen an der Sache, bekam er doch dadurch eine Vorstellung davon, wie Sina ihre letzten Lebensstunden verbracht hatte. Es traf sich gut, daß er mit Natascha hier gelandet war, so rundete sich die Geschichte, ja, fast war ihm, als könnte Sina selbst jeden Augenblick an ihnen vorbeitanzen.
    Natascha schrak zusammen. »Er ist da.«
    Karp schlenderte langsam durch die Bankreihen im Hintergrund der Cafeteria; ganz entspannt wirkte er, während er seinen Blick über die Gestalten im Halbdunkel schweifen ließ. Arkadi führte Natascha zum Podium. »Kolja möchte auch gern mit Ihnen tanzen«, sagte er.
    »Ach, wirklich?«
    »Wenn Sie ihn sehen, dann geben Sie ihm eine Chance. Er ist ein gescheiter Mann, ein Wissenschaftler, Botaniker, um genau zu sein. Aber er braucht jemanden, der ihm hilft, auf den Boden der Tatsachen zurückzufinden.«
    »Ich würde lieber Ihnen helfen.«
    »Dann warten Sie, wenn ich jetzt gehe, eine halbe Minute und schalten anschließend für ein paar Sekunden die Scheinwerfer am Podium aus.«
    »Es geht immer noch um Sina, nicht wahr?« Nataschas Stimme klang auf einmal ganz verzagt. »Warum verbeißen Sie sich dermaßen in diesen Fall?«
    Arkadi war so verblüfft, daß er das erste sagte, was ihm in den Sinn kam: »Ich verabscheue Selbstmord.«
    Slawa wirkte plötzlich ganz entkrampft, wie befreit, das Saxophon schien seine Seele wie eine Wünschelrute aufgespürt zu haben. Während der Dritte Maat wehklagende Töne aus seinem Instrument hervorzauberte, erreichten Arkadi und Natascha die Tür zum Küchentrakt.
    »Sie hat sich also nicht selbst umgebracht?« fragte Natascha.
    »Nein.«
    »Hat Karp sie getötet?«
    »Wissen Sie, das ist das erstaunlichste an der Sache - ich glaube nämlich nicht, daß er es war.«
     
    Die Kombüse war ein enges Geviert, angefüllt mit stählernen Spülbecken, gestapelten Tabletts, so verbeult wie Kampfschilde, Türmen weißer Suppenschüsseln auf schmalen Arbeitsflächen, und an den Wänden hingen Pfannen und Tiegel so groß wie Waschtröge. Das Reich der Olimpiada Bovina. Kohl badete in siedendem Wasser, entweder in Vorbereitung fürs Frühstück oder um Klebstoff daraus herzustellen. Ein Rührlöffel stand aufrecht in einer Schüssel mit verkrustetem Eierkuchenteig. Arkadi ging bewußt den

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