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Polar Star

Polar Star

Titel: Polar Star Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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sich. Ich glaube nicht, daß eine Frau mitten in der Nacht bei Regen zur Heckreling läuft, um irgendeiner Bootsmannschaft zuzuwinken. Sie tut es, weil sie einen Mann begrüßen will. Mit ziemlicher Sicherheit lügen die Amerikaner, wenn sie behaupten, sie hätten keine Ahnung, wer dieser Mann sein könnte.«
    »Wollen Sie etwa andeuten, einer unserer Jungs sei eifersüchtig gewesen?« fragte Martschuk.
    »Das wäre eine Verleumdung«, konstatierte Wolowoi, als sei die Frage damit erledigt. »Falls es aber zu Pflichtverletzungen in der Küche gekommen ist, falls eine der Arbeiterinnen ihren Dienst nicht vorschriftsmäßig versehen hat, dann werden wir das natürlich mit einem strengen Verweis ahnden.«
    »Noch Wasser?« Martschuk reichte Wolowoi die Flasche.
    »Gern.«
    Blasen perlten im Glas des Invaliden. Um Martschuks Lippen spielte ein unheilvolles Lächeln, aber sein Ton blieb unverändert sowjetisch, nüchtern und geschäftsmäßig.
    »Das Problem«, urteilte Martschuk, »sind die Amerikaner. Die werden darauf achten, ob wir die Ermittlungen offen und geradlinig fuhren.«
    »Das werden wir«, sagte Wolowoi, »aber in Wladiwostok.«
    »Natürlich.« Martschuk nickte. »Trotzdem, wir stehen hier vor einer ganz außergewöhnlichen Situation, die möglicherweise rascheres Handeln erfordert.« Er bot dem Invaliden eine Zigarette an. Bisher bewegte sich noch alles im vorschriftsmäßigen Rahmen sowjetischer Diskussionsführung. Es kam mitunter vor, daß Sofortmaßnahmen ergriffen werden mußten, um eine Krise abzuwenden, etwa wenn am Monatsende das Soll nur erfüllt werden konnte, indem man dreirädrige Autos auslieferte. Auf ein Fischereifahrzeug übertragen, hieß das, man erfüllte die Quote, indem man den gesamten Fang zu Fischmehl verarbeitete, ohne den bereits verdorbenen Fisch auszusondern.
    »Der Arzt war mit dem Genossen Bukowski einig«, betonte Wolowoi.
    »Der Arzt«, sagte Martschuk, bemüht, gemessen zu reagieren, »der Arzt konnte, wenn ich mich recht entsinne, noch nicht einmal den Zeitpunkt des Todes bestimmen. Für Gesunde mag er ja ein guter Arzt sein, aber bei Kranken oder gar Toten hab ich da meine Zweifel.«
    »Der Bericht hat vielleicht ein paar Schwachstellen«, gab Wolowoi zu.
    Mit einer Miene des Bedauerns wandte Martschuk sich an Slawa. »Verzeihen Sie, aber dieser Bericht ist ganz einfach Mist.«
    Und an Wolowoi gerichtet setzte er hinzu: »Ich bin sicher, er hat sein Bestes getan.«
    Das letzte russische Schiff, mit dem die Polar Star zusammengetroffen war, war ein Frachter gewesen, der dreitausend Tonnen Seezunge, fünftausend Tonnen Pollack, achttausend Tonnen Fischmehl und fünfzig Tonnen Lebertran im Austausch gegen Mehl, Schinken, Kohl, Filmrollen, Post und Zeitschriften an Bord genommen hatte. Arkadi war an dem Tag mit an Deck gewesen. Aber er hatte keinen kleinwüchsigen Elektroingenieur bemerkt, der etwa den Flaschenzug dirigiert hätte.
    Unter seinem dichten Haarschopf bestand das Gesicht von Anton Hess zur Hälfte aus Stirn; der Rest - gewölbte Brauen, vorspringende Nase, aufgeworfene Oberlippe und gespaltenes Kinn - wurde dominiert von einem freundlichen, blauen Augenpaar. Hess sah aus wie ein deutscher Chorleiter, einer, der noch mit Brahms zusammengearbeitet haben könnte.
    Ohne den wohlgesetzten Ton sowjetischer Behördensprache aufzugeben, vielmehr wie einer, der widerstrebend unangenehme Fakten offenlegt, ging der Erste Maat zum Angriff über.
    »Seemann Renko, nur zu unserer Information: Ist es richtig, daß die Moskauer Staatsanwaltschaft Sie entlassen hat?«
    »Ja.«
    »Und stimmt es auch, daß Sie aus der Partei ausgeschlossen wurden?«
    »Ja.«
    Das düstere Schweigen, das diesem Wortwechsel folgte, war die angemessene Reaktion auf das Geständnis eines Mannes, der sich eben zu zwei unheilbaren Krankheiten bekannt hatte.
    »Darf ich frei sprechen, Kapitän?« fragte Wolowoi.
    »Bitte.«
    »Ich war von Anfang an dagegen, diesen Arbeiter an den Ermittlungen zu beteiligen, ganz besonders, was die Befragung unserer amerikanischen Kollegen betrifft. Mir lag nämlich bereits ein Dossier mit negativen Informationen über Seemann Renko vor. Heute habe ich nun per Funk vom KGB in Wladiwostok weiteres Material angefordert, denn ich wollte den Mann ja nicht unfair beurteilen. Genossen, wir haben hier einen Menschen mit fragwürdiger Vergangenheit vor uns. Niemand will darüber sprechen, was genau damals in Moskau passiert ist. Erfahren konnte ich nur so viel, daß Renko in die

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