Polar Star
Ermordung eines Staatsanwalts verwickelt war und daß er mit der Flucht einer früheren Sowjetbürgerin zu tun hatte. Mord und Verrat, das ist die Geschichte des Mannes, der hier vor Ihnen steht. Darum hetzt er von einer Arbeit zur nächsten, durch ganz Sibirien. Und sehen Sie ihn sich nur an: Er hat sich nicht zu seinem Vorteil entwickelt.«
Wie recht er hat, dachte Arkadi. Schon die mit Schuppen und getrocknetem Schleim verkrusteten Stiefel waren wahrhaftig nicht das Schuhwerk eines prosperierenden Mannes.
»Die ganze Wahrheit ist«, sagte Wolowoi in einem Ton, als kämen ihm die Worte nur widerstrebend über die Lippen, »daß man in Sachalin nach ihm fahndete, als er auf der Polar Star angeheuert hat. Warum man ihn suchte, konnte ich nicht in Erfahrung bringen, aber bei einem seines Schlages kommen tausend Gründe in Betracht. Darf ich ganz offen sein?«
»Nur zu«, sagte Martschuk.
»Genossen, Wladiwostok wird primär nicht untersuchen, was einem x-beliebigen Mädchen namens Sina Patiaschwili zugestoßen ist, sondern ob wir auf unserem Schiff die politische Disziplin aufrechterhalten haben. Wladiwostok wird kein Verständnis dafür aufbringen, daß wir in eine so heikle Ermittlung einen Mann wie Renko einbeziehen, einen Mann, der politisch als so unzuverlässig gilt, daß wir ihn in einem amerikanischen Hafen nicht von Bord lassen können.«
»Ein ausgezeichnetes Argument«, räumte Martschuk ein.
»Im übrigen«, fuhr Wolowoi fort, »wäre es möglicherweise ratsam, eine allgemeine Urlaubssperre zu verhängen. Wir erreichen Dutch Harbor in zwei Tagen. Vielleicht wäre es das beste, die gesamte Mannschaft an Bord zu behalten.«
Bei diesem Vorschlag verdüsterte sich das Gesicht des Kapitäns. Er goß sich Wasser nach. »Nach vier Monaten auf See?« fragte er. »Nur darum machen die Leute doch die Fahrt mit, wegen dieses einen Tages im Hafen. Außerdem ist unsere Mannschaft ja gar nicht das Problem, und die Amerikaner können wir wohl kaum daran hindern, an Land zu gehen.«
Wolowoi zuckte die Achseln. »Die Bevollmächtigten würden es der Gesellschaft melden, sicher, aber schließlich ist die Firma zur Hälfte in sowjetischer Hand. Die Gesellschaft wird also nichts unternehmen.«
Martschuk drückte seine Zigarette aus und zeigte ein Lächeln, in dem mehr Ironie steckte als Humor. Seine Geduld schien erschöpft. »Die amerikanischen Beobachter werden ihrer Regierung Meldung machen, und die Fischer werden überall Gerüchte ausstreuen. Es wird heißen, ich hätte auf meinem Schiff einen Mord vertuscht.«
»Todesfälle sind immer tragisch«, sagte Wolowoi, »aber eine Untersuchung ist ein politischer Schritt. Es wäre ein Fehler, weitere Ermittlungen an Bord anzustellen. In dem Punkt muß ich für die Partei sprechen.«
In tausend Kolchosen, Fabriken, Universitäten und Gerichtssälen hätte man in einem solchen Augenblick die gleichen Worte hören können, denn keine ernsthafte Zusammenkunft zwischen Direktoren, Führungskadern oder Anklägern wurde je zu Ende gebracht, ohne daß irgendwann einer aufstand und für die Partei sprach, womit der Sachlichkeit der Debatte der Garaus gemacht war; und selbst der Zigarettenqualm verzog sich vor diesem maßgeblichen, unabwendbaren Satz.
Martschuk jedoch kapitulierte nicht, sondern wandte sich an den Mann zu seiner Rechten: »Genosse Hess, haben Sie dazu etwas anzumerken?«
»Nun ja«, sagte der Elektroingenieur der Flotte, so als sei ihm eben etwas eingefallen. Seine Stimme hatte das Timbre eines Holzblasinstruments mit gesprungenem Mundstück, und er richtete seine Worte direkt an Wolowoi. »In der Vergangenheit, Genosse, wäre alles, was Sie vorgebracht haben, durchaus korrekt gewesen. Ich habe allerdings den Eindruck, daß die Lage sich inzwischen verändert hat. Wir haben eine neue Führung, die sich für mehr Initiative ausgesprochen hat und für eine schonungslosere Untersuchung unserer Fehler. Kapitän Martschuk ist ein treffliches Beispiel dieser jungen, freimütigen Führungsschicht. Ich meine, wir alle sollten ihn unterstützen. Was nun den Arbeiter Renko betrifft, so habe auch ich Informationen über ihn eingeholt. Er wurde weder wegen Mordes angeklagt noch als Verräter vor Gericht gestellt. Dagegen existiert ein Protokoll, demzufolge ein gewisser Oberst Pribluda vom KGB sich für ihn verbürgt hat. Renko mag politisch fahrlässig gehandelt haben, aber seine beruflichen Fähigkeiten sind nie angezweifelt worden. Darüber hinaus sollten wir bei all
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