Polar Star
indes nicht unterbrechen, da der Dritte Maat gerade einen Höhepunkt ansteuerte oder zumindest zum Schluß zu kommen schien. Slawa knüpfte den Sack auf, der vor ihm auf dem Boden stand, zog eine aufgerollte ein Zentimeter dicke Stahltrosse heraus und hielt sie triumphierend in die Runde. An einigen Stellen stachen Stahlfasern wie Dornen aus dem Kabel hervor.
»Genau das meine ich, durchgescheuert wie dieses Kabel hier«, sagte Slawa. »Es ist erwiesen, daß der Leichnam von Sina Patiaschwili im Netz heraufkam. Wir Seeleute wissen, daß ein Netz oft von abgenutzten Kurrleinen gezogen wird. Und während sie das Netz durchs Wasser schleppen, vibrieren die Leinen, und dabei werden herausstehende Enden zu regelrechten Waffen, scharf und gefährlich. Eine solche Spitze hat Sina die Schnittwunde beigebracht. Damit wäre das Rätsel gelöst. Ein Mädchen geht zum Tanzen, ihr wird heiß, sie geht an Deck, allein, um sich abzukühlen, fällt über Bord und findet dabei - zu unser aller Bedauern - den Tod. Aber das ist alles, was passiert ist.«
Slawa zeigte die Kabelprobe erst Wolowoi, der großes Interesse heuchelte, dann dem Fremden, der abwinkte, und schließlich dem Kapitän, der jedoch bereits wieder in ein Dokument vertieft war. Martschuk hatte eine katzenhafte Art, sich, während er die Blätter studierte, den gepflegten schwarzen Bart zu streichen.
»In Ihrem Bericht empfehlen Sie, von weiteren Untersuchungen an Bord abzusehen und noch ausstehende Fragen den zuständigen Behörden in Wladiwostok zu überlassen.«
»Ja«, sagte Slawa. »Natürlich liegt die endgültige Entscheidung darüber bei Ihnen.«
»Soweit ich mich erinnere, haben Sie noch einige andere Vorschläge gemacht«, warf Wolowoi ein. »Aber ich habe den Bericht nur flüchtig durchgeblättert.«
»Das ist richtig«, antwortete Slawa gehorsam. Wirklich vortrefflich, dachte Arkadi, fast so gut wie Tischtennis. »Wenn wir aus diesem tragischen Vorfall eine Lehre ziehen können, dann die, daß Sicherheit an Bord niemals als selbstverständlich vorausgesetzt werden darf. Ich möchte Ihnen daher nachdrücklich zwei Empfehlungen unterbreiten. Erstens: Bei künftigen Geselligkeiten beziehen Freiwillige an beiden Seiten des Heckdecks Posten. Zweitens: Veranstaltungen finden in Zukunft, soweit möglich, nur noch während des Tages statt.«
»Dies sind nützliche Vorschläge, und ich bin sicher, sie werden mit großem Interesse auf unserer nächsten Vollversammlung diskutiert werden«, sagte Wolowoi. »Die gesamte Mannschaft schuldet Ihnen Dank für Ihre Bemühungen, für die Umsicht und Eile, mit der Sie Ihre Ermittlungen geführt haben, und nicht zuletzt für den ebenso sachlichen wie scharfsinnigen Charakter Ihrer Schlußfolgerungen.«
Tolstois Adlige ergingen sich in französischen Wortkaskaden. Die Enkel der Revolution sprachen ein schwerfälliges, ja stockendes Russisch, als sei jedes Wort soundsoviele Zentimeter lang und als müßten all diese Worte, sorgfältig aneinandergefügt, unwiderruflich zum Konsens führen. Was sie zu sagen hatten, brachten sie höflich und sachlich vor, denn das Eigentümliche der sowjetischen Demokratie bestand darin, daß alle Versammlungen in Einmütigkeit zu enden hatten. Angenommen, ein Arbeiter trat vor ein Fabrikkomitee und wies darauf hin, daß man Autos mit drei Rädern herstellte, oder erklärte einem Agrarkomitee, daß man Kälber mit zwei Köpfen züchtete. Solche Informationen hielten ein besonnenes, erfahrenes Komitee niemals davon ab, in geschlossener Formation auch weiterhin seinen Kurs beizubehalten.
Martschuk nippte an seinem Glas, zündete sich eine neue Zigarette an, eine Player’s mit würzigem, ausländischem Aroma, und senkte seinen Blick wieder auf den Bericht, der vor ihm lag. In dieser Haltung kam die asiatische Form seiner Wangen besonders gut zur Geltung. Der Kapitän sah aus wie ein Mann, der dafür geschaffen war, die Taiga zu bezwingen, nicht aber dazu, sich durch Bürokratenlatein hindurchzukämpfen. Der Fremde im hellbeigen Sweater lächelte geduldig, als sei er durch Zufall in diese Versammlung geraten, schien aber dennoch keine Eile zu haben, wieder zu gehen.
Martschuk blickte auf. »Sie haben diese Nachforschungen doch zusammen mit dem Genossen Renko durchgeführt?«
»Ja«, antwortete Slawa zögernd.
»Aber ich sehe nur Ihre Unterschrift unter dem Bericht.«
»Das liegt daran, daß wir vor diesem Zusammentreffen keine Gelegenheit mehr hatten, uns abzusprechen.«
Martschuk winkte
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