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Polar Star

Polar Star

Titel: Polar Star Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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Seitenfenster den Platz abschätzte, dann zog er seinen Kopf wieder ins Wageninnere zurück und brach in schallendes Gelächter aus. »Keine schlechte Vorstellung, oder? Übrigens, du siehst grauenhaft aus.«
    Arkadi kam sich lächerlich vor. Trunken vor Glück über die wiedergewonnene Freiheit und erschöpft von den wenigen Schritten bis zum Wagen sackte er auf seinem Sitz zusammen. »Hattest du denn keine Entlassungspapiere für mich?«
    »Nicht mit meiner Unterschrift; so dumm bin ich schließlich nicht, Renko. Bevor gewisse Herren von der Sache Wind bekommen, bist du schon raus aus Moskau.«
    Arkadi warf abermals einen Blick auf Pribludas Epauletten.
    »Haben sie dich also befördert. Gratuliere.«
    »Das verdanke ich dir.« Pribluda mußte seinen Kopf abwechselnd rein- und rausstrecken, um gleichzeitig fahren und Arkadis Fragen beantworten zu können. »Ich war fein raus, als du zurückkamst. Sollte sich das Mädchen doch ruhig davonmachen, um sich dann in New York auf den Straßen verkaufen zu müssen - was hatte sie den Amerikanern schon für Staatsgeheimnisse anzubieten? Du hast dich verhalten wie ein guter Russe. Du hast getan, was du tun mußtest, und bist dann zurückgekommen.«
    Schneeflocken sammelten sich auf Pribludas Haar und Augenbrauen und verliehen ihm das Aussehen eines Kutschers.
    »Das Problem ist der Staatsanwalt. Er hatte viele Freunde.«
    »Er war eben auch beim KGB.«
    Pribluda spielte den Gekränkten. »Du verstehst also, worauf ich hinauswill«, sagte er nach einer Pause. »Die glauben einfach nicht, daß du nicht noch mehr aufgedeckt hast. Um ihrer eigenen Sicherheit willen müssen sie dich nun auswringen wie einen nassen Lappen, bis sie auch den letzten Tropfen rausgequetscht haben, und ich spreche hier nicht von Wasser.«
    »Wo ist Irina?« fragte Arkadi.
    Pribluda lehnte sich wieder aus dem Fenster und wischte den Schnee von der Windschutzscheibe, ohne deswegen anzuhalten. Vor ihnen vollführte ein Wartburg aus der DDR, der aussah wie eine umgedrehte Badewanne, auf den Straßenbahnschienen eine Drehung um 360 Grad.
    »Faschist!« Der Oberst schob sich eine Zigarette in den Mund und zündete sie an. »Vergiß sie. Für dich ist sie so gut wie tot - mehr als tot.«
    »Das heißt, sie ist entweder sehr krank oder kerngesund.«
    »Dir kann das egal sein.«
    Der Wagen fuhr durch ein Tor und fing an zu holpern und zu rumpeln, als ginge es auf einmal übers freie Feld, was mitten in Moskau natürlich höchst unwahrscheinlich war. Doch dann erkannte Arkadi einen spärlich beleuchteten Rangierbahnhof; in Abständen waren Rampen über die Schienen gelegt, damit Lastwagen die Gleise passieren konnten. Ein Heer von Zügen baute sich wie eine Front bewaffneter Feinde vor ihnen auf - meist Plattformwagen, beladen mit Kabelrollen, Traktoren oder vorgefertigten Wänden, alles halb verborgen unter der weißen Schneedecke. In der Ferne reckten sich die gotischen Türme des Jaroslawler Bahnhofs den lautlos fallenden Flocken entgegen, als wollten sie höher und immer höher in den Himmel wachsen. Der Bahnhof war das Tor zum Osten. Pribluda hielt zwischen zwei Personenzügen, einer mit der kurzen, behelmten Lokomotive eines Vorortszuges, der andere mit den langgestreckten, roten Wagen der Rossija, der Transsibirischen Eisenbahn. Durch die Abteilfenster sah Arkadi, wie die Reisenden ihre Plätze einnahmen.
    »Du machst Witze.«
    »In Moskau bist du nur von Feinden umgeben«, sagte Pribluda.
    »Allein kannst du dich nicht schützen, und ich bin nicht in der Lage, dich ein zweites Mal zu retten - nicht hier. Das gleiche gilt für Leningrad, Kiew, Wladimir - jeden beliebigen Ort irgendwo in der Nähe. Du mußt dahin gehen, wohin dir niemand freiwillig folgen wird.«
    »Die werden mir schon folgen, egal wohin.«
    »Aber es werden zwei oder drei sein, statt zwanzig oder mehr, und du wirst immer wieder weiterziehen können. Ich glaube, du begreifst es immer noch nicht: Hier in Moskau bist du praktisch schon tot.«
    »Dort draußen werde ich auch so gut wie tot sein.«
    »Und genau das wird dich retten. Glaube mir, ich weiß, wie deren Hirn arbeitet.«
    Das konnte Arkadi nicht bestreiten; die Grenzlinie zwischen »denen« und Pribluda war nur hauchdünn.
    »Es ist ja bloß für zwei, drei Jahre«, sagte der Oberst tröstend. »Mit dem neuen Regime ändert sich alles - wenn auch, soweit es mich betrifft, nicht nur zum besten. Wie dem auch sei, gib denen eine Chance, dich zu vergessen, und dann kannst du

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