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Polar Star

Polar Star

Titel: Polar Star Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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gemacht, wieviel die Wolowois dieser Welt uns kosten?« Kolja wechselte das Thema, so als hielte er ein gutes Rätsel für die beste Medizin. »Wieviel zahlen sie uns hier?«
    »Ich denke, du berechnest den Mond?«
    »Das geht beides gleichzeitig. Also, was verdienen wir?«
    Das war eine schwierige Frage. Die Bezahlung auf der Polar Star war nach einem Koeffizienten gestaffelt, der von 2,55 Anteilen für den Kapitän bis hinunter zu 0,8 Anteilen für den einfachen Matrosen reichte. Dazu kamen ein Fixum von anderthalb Anteilen fürs Fischen in der Arktik, eine ZehnProzent-Prämie für einjährigen Dienst, ein weiterer ZehnProzent-Bonus für Normerfüllung und im Falle einer Übererfüllung gar eine Prämie von stolzen vierzig Prozent. Alles hing von der Fangquote ab. Sie konnte noch nach dem Auslaufen erhöht oder gesenkt werden, doch in der Regel wurde sie heraufgesetzt, weil der Flottenmeister eine um so höhere Prämie bekam, je mehr er an Heuer einsparte. Für die Fahrt zu den Fischgründen stand eine bestimmte Zeit zur Verfügung, und wenn der Kapitän das Schiff in einen Sturm steuerte, lief die gesamte Mannschaft Gefahr, Geld zu verlieren, weshalb sowjetische Schiffe bisweilen mit voller Kraft durch Nebel und stürmische See pflügten. Alles in allem war die Lohnskala eines russischen Fischers kaum weniger kompliziert als Astronomie.
    »Also ich verdiene etwa dreihundert Rubel im Monat«, schätzte Arkadi.
    »Nicht schlecht. Hast du auch die Amerikaner berücksichtigt?«
    Weil Amerikaner an Bord waren, hatte man das Reglement geändert: ein niedrigeres Soll und langsamere Fahrt sollten bei den Gästen Eindruck schinden, ihnen Achtung abverlangen vor der Humanität der sowjetischen Fischindustrie.
    »Na, sagen wir also dreihundertfünfundzwanzig Rubel.«
    »Für einen Vollmatrosen dreihundertvierzig. Für dich zweihundertfünfzig. Für einen Invaliden wie Wolowoi vierhundertfünfundsiebzig.«
    »Wenn das nicht Laune macht«, sagte Arkadi, der sich wirklich über die Virtuosität seines Kameraden amüsierte. Und Kolja lächelte grimmig wie ein Jongleur, der zusätzlich zu den Bällen, die er bereits in der Luft hat, noch einen weiteren fordert, um seine Meisterschaft unter Beweis stellen zu können.
    »Es gibt fast zwanzigtausend sowjetische Fischtrawler und Fabrikschiffe, und auf all denen sitzen Politoffiziere, richtig? Gehen wir von durchschnittlich vierhundert Rubel aus, die jeder von ihnen im Monat bekommt, bedeutet das insgesamt einen Kostenaufwand von acht Millionen Rubel pro Jahr für diese vollkommen nutzlosen Invaliden. Und das ist allein die Fischereiflotte - das rechne jetzt mal auf die ganze Sowjetunion um …«
    »Fisch! Wir sind hier, um Fische zu fangen, nicht um Mathematik zu betreiben, Genosse Mer!«
    Als Wolowoi aus dem Schatten trat, schillerte sein Trainingsanzug im Mondlicht. Der Schlendergang des Ersten Maats hatte etwas besonders Hämisches, und Arkadi begriff, daß Wolowoi ihm im Triumph aus der Kapitänskajüte gefolgt war. Wie gewöhnlich blickte Kolja mechanisch zur Seite.
    Wolowoi streckte die Hand nach dem Sextanten aus. »Was ist denn das?«
    Kolja sagte: »Der gehört mir. Ich habe gerade den Stand des Mondes abgelesen.«
    Wolowoi blickte mißtrauisch in den Himmel. »Und wozu?«
    »Um unsere Position zu bestimmen.«
    »Sie sind hier, um Fische auszunehmen. Was brauchen Sie dazu unsere Position?«
    »Reine Neugier. Ist ein alter Sextant, eine Antiquität.«
    »Und wo sind Ihre Karten?«
    »Ich habe keine.«
    »Versuchen Sie am Ende rauszukriegen, wie weit es noch bis Amerika ist?«
    »Nein. Ich wollte bloß wissen, wo wir hier sind.«
    Wolowoi zog den Reißverschluß seiner Trainingsjacke auf und schob den Sextanten hinein. »Der Kapitän weiß, wo wir uns befinden. Das dürfte genügen.«
    Der Invalide wandte sich zum Gehen, ohne Arkadi eines Wortes zu würdigen; er konnte sich das leisten.
    Also ab ins Bett.
    In der Kabine war es finster wie in einem Grab - was der Situation durchaus entsprach. Kolja rollte sich schon neben seinen Blumentöpfen zusammen, während Arkadi noch die Stiefel auszog und in seine Koje kletterte, wo er sich die Decke fest um die Schultern wickelte. Der gärende Geruch von Obidins Selbstgebrautem hing schwer und betäubend in der Luft. Schon nach zwei Atemzügen war Arkadi eingeschlafen. Er fiel in eine lichtlose Leere, die er nur zu gut kannte.
    An Moskaus Gartenring, unweit der Jugendbibliothek und dem Unterrichtsministerium, stand ein dreistöckiges

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