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Polar Star

Polar Star

Titel: Polar Star Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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Gebäude mit grauer Umzäunung, das Serbski-Institut für Forensische Psychiatrie. Der Zaun war oben mit elektrischen Drähten gesichert, die allerdings von der Straße aus nicht zu sehen waren. Zwischen Zaun und Institutsgebäude patrouillierten Wachen, deren Hunde darauf dressiert waren, nicht zu bellen. Im zweiten Stock der Klinik befand sich die Abteilung vier. Vom Flur mit seinem Parkettboden gingen drei allgemeine Krankensäle ab. Von alledem bekam Arkadi aber nur am Tag seiner Einlieferung und dann wieder bei der Entlassung etwas zu sehen. Er wurde in einem Isolierraum untergebracht, der nur mit Bett, Toilette und einer schummrigen nackten Glühbirne ausgestattet war. Bei seiner Einlieferung wurde er von den Pflegerinnen, zwei weißbekittelten alten Frauen, gebadet, und schließlich rasierte ein Mitpatient ihm Kopf, Achselhöhlen und Scham, damit er so sauber und haarlos wie ein gerade Neugeborenes vor die Ärzte hintreten konnte. Zum Anziehen gaben sie ihm einen gestreiften Pyjama und einen Bademantel ohne Gürtel. Sein Zimmer hatte keine Fenster, so daß er nie wußte, ob draußen Tag war oder Nacht. Die Diagnose lautete »präschizophrenes Syndrom«, als ob die Ärzte Propheten wären.
    Die Koffein-Injektionen machten in gesprächig, und außerdem spritzte man ihm Barbiturate in die Armvene, um seinen Willen zu schwächen. Auf weißen Hockern saßen die Ärzte um ihn herum und fragten scheinbar sehr besorgt: »Wo ist Irina? Sie haben sie geliebt, bestimmt haben Sie Sehnsucht nach ihr. Haben Sie Pläne für ein Wiedersehen gemacht? Was glauben Sie, wird Irina jetzt machen? Wo meinen Sie, daß sie sich aufhält?« Sie nahmen erst den einen, dann den anderen Arm und mußten schließlich auf die Venen in seinen Beinen zurückgreifen, aber die Fragen blieben immer die gleichen, genau wie die Komik der Situation. Da er keine Ahnung hatte, wo Irina sich aufhielt oder was sie machte, beantwortete er jede Frage wahrheitsgemäß, und da die Ärzte überzeugt waren, daß er mehr wisse, dachten sie, er verheimliche ihnen etwas. »Sie leiden an Wahnvorstellungen«, versicherte er ihnen, was ihm aber nicht weiterhalf.
    Frustration führte naturgemäß zu verschärften Sanktionen. Bevorzugt wurde die Lumbalpunktion. Sie schnallten ihn auf dem Bett fest, betupften seine Wirbelsäule mit Jod und jagten eine Nadel in ihn hinein. Was die Wirkung betraf, so spürte er zuerst einen stechenden Schmerz, wenn die Nadel eindrang, und litt danach stundenlang unter Krämpfen, ganz ähnlich der spaßigen Reaktion eines Froschschenkels auf einen Stromschlag.
    Es war Schwerarbeit für alle Beteiligten. Nach einiger Zeit zogen sie ihm nur noch einen Bademantel über, um leichter an seine Venen heranzukommen. Die Ärzte streiften die Kittel ab und arbeiteten in ihren Uniformen, dunkelblau, mit den roten Schulterstücken der Miliz.
    Zwischen den Sitzungen stellten sie ihn mit Aminazin ruhig. Es war so still um ihn, daß er tagsüber durch zwei schalldämpfende Türen das Schlurfen von Schuhen auf dem Flur hören konnte und nachts das Stiefelknarzen der Wachen. Das Licht brannte rund um die Uhr. Manchmal blinkte das Guckloch in der Tür: Kontrollgang.
    »Sie täten besser daran, sich auszusprechen und sich von dieser Paranoia zu befreien. Sonst gibt es nur immer wieder Fragen - und neue Vernehmungsbeamte, wenn sie am wenigsten darauf gefaßt sind. Dann werden Sie eines Tages noch wirklich verrückt.«
    Sie hatten recht, Arkadi spürte selbst, daß er die Herrschaft über sich verlor. Von der Straße her konnte er gelegentlich die Sirene eines Polizeiwagens oder der Feuerwehr hören, Hupen, das sich durch den Beton bohrte, und dann schmollte er wie ein Toter, dessen Grab geschändet wird. Laßt mich in Frieden ruhen.
    Arkadi zerrte an den Gurten. »Was ist das eigentlich: ein >präschizophrenes Syndrom    Der Arzt strahlte, faßte neuen Mut. »Man nennt es auch träge Schizophrenie.«
    »Klingt scheußlich«, mußte Arkadi zugeben. »Und woran erkennt man diese Krankheit?«
    »Oh, da gibt es viele Symptome. Mißtrauen und Verschlossenheit - sagt Ihnen das was? Teilnahmslosigkeit? Unverschämtheit?«
    »Nach einer Spritze schon«, gestand Arkadi.
    »Streitlust und Arroganz. Ein anomales Interesse an Philosophie, Religion oder Kunst.«
    »Wie steht’s mit Hoffnung?«
    »In manchen Fällen«, sagte der Doktor, »durchaus.«
    Die Wahrheit war, daß die Vernehmungsbeamten ihm tatsächlich Hoffnung gaben, einfach weil sie ihn niemals

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