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Polar Star

Polar Star

Titel: Polar Star Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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über und bestieg einen Zug Richtung Süden, fand also nach langer Zeit wieder Anschluß an die rote Linie der Transsibirischen Eisenbahn. Doch diesmal fuhr er draußen auf der Plattform, denn er stank wie ein ganzes Netz voller Fische. In der Dämmerung kam er in Wladiwostok an, dem größten Pazifikhafen der Sowjetunion, auch »Perle des Ozeans« genannt. Im Schein der hohen, kannelierten Straßenlaternen drängten sich gutgenährte, gutgekleidete Menschen auf den Gehsteigen. Motorräder fuhren mit Bussen um die Wette. Dem Bahnhof gegenüber wies ein LeninDenkmal den Weg zum Goldenen Horn, der Bucht von Wladiwostok, und vom Dachfirst über Lenins stählerner Stirn blinkte in Neonlettern ein Willkommensgruß: »Der Sieg des Kommunismus ist nahe!«
    Der Sieg war nahe? Nach zwei Jahren Exil hatte Arkadi ganze zehn Rubel in der Tasche; sein restliches Geld war auf der Insel zurückgeblieben. Die Übernachtung im Matrosenwohnheim hatte zwar nur zehn Kopeken gekostet, aber er hatte schließlich auch essen müssen. Er folgte der Buslinie zum Schiffahrtsamt, wo ein Aushang über sämtliche zivilen Schiffe informierte, deren Heimathafen Wladiwostok war. Dem Aushang zufolge war die Polar Star, ein Fabrikschiff, an ebendiesem Tage ausgelaufen, doch als Arkadi zu den Docks hinunterkam, sah er, daß noch Kisten an Bord gebracht wurden und das Schiff gerade Treibstoff bunkerte. Portalkräne hievten im Scheinwerferlicht Fässer an Deck, die zuvor von den Grenzwachen kontrolliert worden waren, altgedienten Soldaten, die der KGB mit marineblauen Uniformen ausgestattet hatte. Ihre Hunde beschnüffelten jedes einzelne Faß; wie sie allerdings in dem stinkenden Gemisch aus Dieselöl und den ammoniakhaltigen Dämpfen der Gefrieranlagen noch irgendeine Witterung aufnehmen sollten, schien schwer begreiflich.
    Am nächsten Morgen war Arkadi als erster im Personalbüro des Schiffahrtsamtes, wo ein Angestellter nach einigem Hin und Her zugab, daß die Polar Star noch im Hafen liege und daß man auch noch einen Arbeiter für die Fischverarbeitung benötige. Hinter einer Stahltür, im Büro der KGB-Abteilung »Seefahrt«, ließ er seinen Arbeitspaß stempeln. Auf dem Schreibtisch standen zwei schwarze Telefone für den Kontakt mit den örtlichen Behörden und ein roter Apparat für die Direktverbindung mit Moskau. Arkadi war überrascht, denn bei der Küstenfischerei hatte es solche Sicherheitsvorkehrungen nicht gegeben. Die schwarzen Telefone bedeuteten keine Gefahr, es sei denn, der Offizier käme auf den Gedanken, in Sachalin anzurufen. Falls sich allerdings jemand die Mühe machen und seine Personalien über das rote Telefon nachprüfen sollte, dann wäre hier Endstation für ihn.
    »Es sind Amerikaner dabei«, warnte der diensthabende KGB-Mann.
    »Wie?« Arkadi hatte nur auf die Telefone geachtet.
    »Die Polar Star hat Amerikaner an Bord. Benehmen Sie sich ganz natürlich und seien Sie freundlich, aber nicht zu freundlich. Am besten, Sie reden mit denen erst gar nicht.« Er drückte den Stempel in den Arbeitspaß, ohne auch nur nach Arkadis Namen zu sehen. »Das soll nicht unbedingt heißen, daß Sie sich vor denen verstecken müssen.«
    Aber tat Arkadi denn nicht genau das? Sich verstecken? Zuerst im Labyrinth der psychologischen Anstalt. Dann, nachdem Pribluda ihn wiederbelebt hatte, in Sibirien und dann schließlich auf einem Schiff, wo er weiter den In-sich-Gekehrten, ja Leblosen spielte?
    Als er jetzt schlafend in seiner engen Koje lag, fragte er sich im Traum: »Wäre es nicht schön, ins Leben zurückzukehren?«
    Sina Patiaschwili war wieder aufgetaucht. Vielleicht würde es auch ihm gelingen.
    Am nächsten Morgen machte sich Arkadi, frisch geduscht und rasiert, auf den Weg zum weißen Ruderhaus der Polar Star und zur Kabine des Elektroingenieurs der Flotte. Er hatte sich vorgenommen, Anton Hess um Rat zu fragen.
    »Sie haben Glück, daß Sie mich erwischen«, sagte Hess. »Mein Dienst ist zwar gerade zu Ende, aber ich muß gleich wieder raus. Wollte mir nur rasch einen Tee kochen.«
    Seine Unterkunft war nicht größer als eine Mannschaftskabine, doch da hier statt vier Leuten nur einer wohnte, war Platz genug für einen Schreibtisch und eine Wandkarte, auf der anscheinend jede einzelne Fischereiflotte der Sowjets im Nordpazifik markiert war. Auf einem Gummiuntersatz auf dem Schreibtisch stand statt des üblichen Samowars eine Kaffeemaschine, wie sie auch in Moskau die Zierde einer jeden Wohnung gewesen wäre.
    Als er Hess ansah,

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