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Polar Star

Polar Star

Titel: Polar Star Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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erklären, wurde Arkadi von einem Hustenanfall erfaßt, unter dem sich sein ganzer Körper schmerzhaft zusammenkrümmte. Es war, als hätte er lauter Eisstückchen im Leib, die langsam auftauten und dabei einen Kältestrom durch seine Adern schickten, der ihm alle Kraft entzog.
    Mit einem scheelen Blick auf Susan fuhr Natascha so gleichmütig fort, als hätte man sich zum Tee an der Reling getroffen: »Jetzt muß ich meinen Vortrag halten. Anschließend werden wir uns dann mit meiner Freundin unterhalten.«
    »Sie halten einen Vortrag?« Susan zeigte deutlich, daß sie sich das Lachen verkneifen mußte.
    »Ich bin auf diesem Schiff die Vertreterin des gewerkschaftsübergreifenden Bildungsvereins.«
    »Ach richtig, wie konnte ich das nur vergessen?« fragte Susan.
    Es wäre weniger grausam gewesen, hätte sie ungeniert herausgelacht, denn Natascha spürte, daß man sich über sie lustig machte, so wie eine Frau, deren Unterrock hinten unter ihrem Kleid hervorschaut, eine vage Ahnung haben mag, daß sie ausgelacht wird, ohne zu wissen, warum. Aus reiner Nervosität nahm sie Arkadi die Zigarette aus dem Mund. »In Ihrem Zustand ist das wahrhaftig das letzte, was Sie nötig haben.« Sie wandte sich an Susan. »Das ist die abscheulichste Angewohnheit unserer sowjetischen Männer. Rauchen ist das Widernatürlichste, was der Mensch tun kann.«
    Sie warf die Zigarette den Vögeln zu. Eine Möwe senkte die Flügel und packte die Zigarette mit dem Schnabel, ließ sie aber gleich wieder fallen. Ein Sturmvogel schoß nach vorn, fing die trudelnde Zigarette, fraß sie zur Hälfte und spuckte den Rest aus. Der Filter landete im Wasser, wo er von einer Seeschwalbe begutachtet wurde.
    »Das sind offenbar russische Vögel«, bemerkte Susan.
    Arkadi krümmte sich gerade unter einem neuerlichen Hustenanfall, als ihm plötzlich etwas auffiel. Susan trug eine Fischerjacke, und Natascha hatte ebenfalls eine an; das war auch schon alles, was die beiden Frauen gemeinsam hatten. Wo war eigentlich Sinas Fischerjacke? Er hatte bisher nicht darüber nachgedacht, weil schließlich niemand in einer Fischerjacke zum Tanzen ging, und in den kurzen Pausen, in denen die Frauen an Deck kamen, um Luft zu schnappen, brauchten sie keine warme Kleidung, um sich gegen die subarktische Kälte zu schützen. Erst recht eine Russin würde sich nicht mit einer Jacke belasten, die bei einer Umarmung doch nur hinderlich wäre. Unter ihrer gleichmütigen Fassade verbarg sich eine Seele so voller Romantik, daß sie sich schon bei der leichtesten Brise wie eine Taube in die Lüfte schwang.
    Als Arkadi endlich den Hustenreiz bezwang und sich aufrichtete, zündete sich Susan eine neue Zigarette an, die sie freilich für sich behielt.
    »Renko, sind Sie nun derjenige, der die Untersuchung durchführt, oder das Opfer?«
    »Er weiß schon, was er tut«, sagte Natascha.
    »Sieht er darum so aus, als wollte man ihn den Haien zum Mittagessen vorsetzen?«
    »Er hat ein System.«
    Und welches bitte? fragte sich Arkadi.
    Morgans Stimme ertönte aus dem Funkgerät in Susans Tasche: »Fragen Sie Renko, was mit Sina passiert ist. Wir alle sind gespannt, das zu erfahren.«
    Auf dem Deck der Eagle winkte Mike wieder und machte Natascha Zeichen, als wolle er sie zu einem Besuch herüberbitten. Ihre Wangen röteten sich, doch sie zeigte dem Fischer die kalte Schulter, um ihm zu bedeuten, daß Fraternisieren, sofern es sie betraf, strikt der Vergangenheit angehörte. »Wir müssen jetzt zum Vortrag«, sagte sie streng.
    »Aber die da unten wollen wissen, was mit Sina passiert ist«, wandte Susan ein.
    Arkadi, der seinen Beinen noch nicht ganz traute, erprobte seine Standfestigkeit, indem er vorsichtig die Füße hin und her schob.
    »Was soll ich den Leuten sagen?« fragte Susan.
    »Sagen Sie ihnen …« Arkadi zögerte. »Sagen Sie ihnen, sie wüßten immer noch mehr als ich.«
    Der inspirierende Vortrag über die wissenschaftlichen Grundlagen des Atheismus, den Natascha Tschaikowskaia, korrespondierendes Mitglied im Bildungsverein der Gewerkschaft, in der Cafeteria hielt, erfreute sich reger Beteiligung, weil nämlich Wolowoi hinten im Saal stand und nicht nur die Anwesenden zählte, sondern auch deren Enthusiasmus prüfte. Skiba und Slesko saßen als zwei zusätzliche Augenpaare des Invaliden in der letzten Bankreihe. Wie auf jeder Reise war auch diesmal der Tag vor dem Landgang der kritischste: Der Hafenurlaub konnte aus allen möglichen Gründen gestrichen werden - Zeitknappheit,

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