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Polar Star

Polar Star

Titel: Polar Star Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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Laster konstruierten, als die Fabriken ihr Soll noch nach Bruttogewicht erfüllten? Jeder Laster wog doppelt soviel wie in jedem anderen Land der Erde. Versuchen Sie mal, so ein Ungetüm durch den Schnee zu steuern. Die Route führte über einen zugefrorenen See. Meine Mutter gehörte zur vordersten Reihe kommunistischer Arbeiter, sie saß immer im ersten Laster. Sie war beliebt. Sie hatte ein Fotoalbum, und einmal hat sie mir ein Bild meines Vaters gezeigt. Er war auch Lastwagenfahrer. Vielleicht würden Sie’s nicht glauben, aber er sah erstaunlich intellektuell aus. Er las alles, was ihm in die Finger kam, konnte mit jedem diskutieren. Er trug eine Brille. Sein Haar war blond, aber ansonsten sah er Ihnen ein bißchen ähnlich. Meine Mutter sagte, sein Problem war, daß er zu viele romantische Flausen im Kopf hatte. Er hatte ständig Ärger mit seinen Vorgesetzten. Sie wollten heiraten, aber dann im Frühjahr, als das Tauwetter einsetzte, da ist sein Laster im Eis eingebrochen.
    Ich bin bei den Dämmen aufgewachsen. Ich hab sie von klein auf geliebt. Nichts auf Erden ist so schön und so nützlich für die Menschheit. Meine Altersgenossen interessierten sich für weiterführende Kurse, wollten studieren, aber ich konnte die Schule gar nicht schnell genug hinter mich bringen. Und dann nichts wie rauf auf ein Baugerüst und an die Zementmischmaschine. Eine Frau kann genausogut Zement mischen wie jeder Mann. Am aufregendsten ist es, nachts unter eben den Lichtern zu arbeiten, die vom letzten Damm gespeist werden, an dem man selbst mitgebaut hat. Da spürt man: Ich bin jemand. Unter den Männern da sind allerdings viele Herumtreiber, die von einem Ort zum anderen zigeunern, weil sie soviel Geld verdienen. Das ist ihr Pech. Sie verdienen so viel, daß sie ihren Lohn versaufen müssen oder am Schwarzen Meer verjubeln oder für ein Mädchen wie Sina rauswerfen. Solche Männer gründen kein Zuhause. Aber das ist nicht ihr Fehler. Schuld sind die Baudirektoren, die schamlos jeden Preis bieten, nur damit ihr Projekt als erstes fertig wird. Natürlich fragen sich dann die Männer, warum soll ich an einem Ort bleiben, wenn ich mich woanders für mehr Geld verkaufen kann? Das ist das Sibirien von heute.«
     
    Das Netz glitt über die Heckrampe in den Lichtschein der Natriumdampflampen, wurde von den Krankabeln hochgehievt und wiegte sich daran wie ein lebender Körper. Meerwasser troff aus dem Häckselhaar und floß an Deck zu seichten Lachen zusammen. Vierzig oder fünfzig Tonnen Fisch, vielleicht sogar noch mehr! Das Soll einer halben Nacht in einem einzigen Schleppzug. Krabben tanzten über die Holzplanken. Straff gespannte Leinen ächzten unter dem Gewicht des Fangs, als der Trawlmeister mit gezücktem Skalpell Anlauf nahm und den Bauch des Netzes von einem Ende zum anderen aufschlitzte. Es war, als risse das ganze Netz auf einmal entzwei und überflute das Deck bis hinauf zur Schandeckelreling und zur Bootsdecktreppe mit einer gespenstisch lebendigen, zuckenden Masse von Schleimaalen, die im Scheinwerferlicht milchigblau schimmerten .
    Arkadi schreckte aus seinem Traum hoch, warf die Decken zur Seite, zog seine Stiefel an, nahm sein Messer und stieß die Tür auf.
    Es war nicht bloß ein Anfall von Klaustrophobie, der ihn da in der Kabine überfallen hatte, sondern das Gefühl, lebendig begraben zu sein. Es reichte nicht, aus dem Bett aufzustehen, solange er sich noch unter stählernen Decks befand.
    Draußen waren die Lichter von dampfenden Nebelwolken verhüllt, die qualmten wie ein schlecht ziehendes Feuer. Er hatte also den ganzen Nachmittag verschlafen. Erst anderthalb Tage war es her, daß er Bekanntschaft mit Sina Patiaschwilis Leichnam gemacht hatte, und doch fühlte er sich bereits selbst fast wie ein Toter. In weniger als zwölf Stunden sollte er eine aufsehenerregende Entdeckung machen, die den rätselhaften Tod Sina Patiaschwilis zu jedermanns Zufriedenheit lösen und der Mannschaft ihren Landgang sichern würde. Er stolperte gegen die Reling und hangelte sich zentimeterweise vom Trawldeck vor zum Bug. Die Fangfahrzeuge waren verschwunden, und so gab es weder fremde Lichter noch Sterne, die das Auge von den mattschimmernden Lampen der Polar Star abgelenkt hätten.
    Das Deck war leer, die Mannschaft saß beim Abendessen. Der Schichtdienst war ausgesetzt, da das Fabrikschiff keinen Fisch mehr an Bord nahm, sondern mit voller Kraft dem Hafen zusteuerte. Alle arbeiteten jetzt nach demselben Zeitplan. Arkadi schob

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