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Polarfieber (German Edition)

Polarfieber (German Edition)

Titel: Polarfieber (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Henry
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die silberglänzende Fläche tanzen. Noch surrealer wurde die Szenerie durch das grüne Leuchten am Himmel. Aurora Borealis. Zuckende, wabernde Polarlichter, halb verdeckt von im Wind tanzenden Wolkenfetzen. Wunderschön. Gespenstisch. Aber nicht das, was sie gehört hatte.
    „Sind es die Lichter, die dieses Brummen verursachen?“ Auch Silas flüsterte nun. Ehrfurcht in der Stimme.
    Sie schüttelte den Kopf, bedeutete ihm, sich neben ihr auf den Zeltboden zu legen. Dann sah sie sie. Eine Eisbärenmutter mit ihren Zwillingen. Fast schon am Horizont tappte sie unaufgeregt über das Eis. Ohne Silas’ Hand loszulassen, deutete Kaya in die Richtung. Seine Antwort war ein unterdrücktes Keuchen.
    Beruhigend drückte sie seine Hand.
    „Sie ist nicht auf der Jagd“, flüsterte sie.
    „Woher willst du das wissen?“
    „Sieh doch.“
    Die Jungen waren keine Babys mehr. Dennoch wirkten sie tapsig und verspielt gegen das riesige Muttertier. Immer wieder knufften sie einander, kugelten ihrer Mutter vor die Füße, nur um daraufhin strafende Nasenstupser und kleine Bisse zu kassieren. Sie kamen nicht auf ihr Zelt zu. Es war fast so, als hätte die kleine Familie die menschlichen Eindringlinge überhaupt nicht bemerkt. Ein Band legte sich mit einem Mal um Kayas Herz. Das bedeutete Leben. Aufeinander achtgeben, fortbestehen, einander Halt geben. Es war so ein friedliches Bild.
    „Sind sie nicht schön?“
    Mehr fühlte sie Silas’ Blick auf ihrem Gesicht, als dass sie ihn sah. Sie konnte die Augen einfach nicht abwenden von der Polarbärin und ihren Jungen. Das Brummen, das sie im Zelt hatte aufhorchen lassen, waren die übermütigen Spielgeräusche der Jungtiere und die mahnende Antwort der Mutter. Als es die Kleinen einmal besonders toll trieben, setzte sich die Mutter demonstrativ in den Schnee. Keinen Schritt weiter, bevor ihr euch nicht wieder an die Manieren erinnert, die ich euch beigebracht habe, schien sie zu sagen. Auch die Kleinen schienen zu verstehen. Artig trotteten sie zurück zu der Mutter, entschuldigten sich mit Küssen auf ihren pelzigen Hals und die Schnauze. Nach einer Weile trotteten sie weiter. Langsam und einträchtig, bis die Nacht sie verschlang.
    „Puh.“ Erleichtert stieß Silas die Luft aus. „Das hätte ganz schön in die Hose gehen können.“
    Immer noch sah sie auf den Punkt, an dem die Eisbärenfamilie im Dunkel verschwand. „Wohl kaum. Sie sind Jäger, keine Monster. Es liegt nicht in ihrem Interesse, jene, die sich den Lebensraum mit ihnen teilen, zu vernichten.“
    „Sie war eine Mutter. Schützt nicht jede Mutter ihr Junges?“
    Diese Frage war es, die Kaya nun doch den Kopf wenden ließ. Enger wurde das Band in ihrer Brust und kälter. „Ich kann es dir nicht sagen.“ Nur ein Flüstern. Er konnte nicht wissen, dass er damit in eine Wunde traf, und dennoch schmerzte es.
    Ein Muskel zuckte in seinem Mundwinkel. „Doch, ich glaube, das ist so. Sollte so sein, in einer perfekten Welt.“
    Was wusste er schon von Müttern und Kindern und einer perfekten Welt? Nichts. Er war ein Mann. Aber vom Aufeinander achtgeben, davon verstand er was. Ungerecht war sie und gemein, ihm das nicht zuzugestehen. Es war doch nicht seine Schuld, dass sie …
    Mit einem Mal hatte sie das Gefühl, dass sie nicht mehr über die Eisbären sprachen und auch nicht über Mütter mit Kindern. Seine Hand war warm und vertraut. Licht und Schatten spielten auf der glatten Haut seiner Wangen ein lockendes Spiel. Warum wunderte es sie eigentlich, dass er sich rasiert hatte? Wann hatte er das gemacht? Die Absurdität der Situation ließ ihr Herz schneller schlagen. Nichts zu essen, aber Rasierzeug. Man konnte wirklich nicht behaupten, dass Silas nicht ganz eigene Vorlieben hatte. Aber dann war es auch egal. Ihre Lippen öffneten sich ein wenig. Er rührte sich, sein Kopf näherte sich ihrem. Die Augen schließen. Vergessen. Füreinander da sein. Leben.
    Nein! Das durfte nicht sein. Sie räusperte sich, zuckte zurück. „Hm, also, was machen wir jetzt? Gestern hast du gesagt, du willst weiter nach Süden gehen.“
    Silas war schon auf den Beinen. Er war so schnell vor ihr zurückgewichen, als wären ihre Körper zwei Magnete, die sich gegenseitig abstießen, sobald sie sich zu nah kamen.
    „Ja, wir müssen nach Nuussuaq. Wenn wir es bis dorthin schaffen, dann haben wir zumindest einen Platz, um auf die Rettungsmannschaften zu warten. Air Greenland fliegt die Siedlung zweimal die Woche an. Wir warten dort einfach

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