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Polarfieber (German Edition)

Polarfieber (German Edition)

Titel: Polarfieber (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Henry
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aber kaum etwas fehlte. Auch die Signalraketen hatte Silas zurückgelassen. Wahrscheinlich, um Gewicht zu sparen. Sie waren nur zu zweit, sie konnten nicht all das Zeug mitschleppen, und wenn sie wirklich in der Nähe des Steenstrup runtergekommen waren, wie Marc es errechnet hatte, dann waren sie so weit von irgendeiner Siedlung entfernt, dass das Abschießen von Signalraketen absolut blödsinnig war. Es sah so aus, als habe Silas den Container nur aufgerissen, um an die Kerzen und den Trockenbrennstoff heranzukommen. Cleveres Bürschchen.
    Nein, Silas trug keine Schuld am Absturz. Er hatte lediglich kühl und professionell auf die Erkenntnis reagiert, dass die Mission mit einem Absturz enden würde, und alles getan, um nicht die Nerven zu verlieren, während er mit Thule funkte. Er war Punkt für Punkt durch die Notfallprozedur gegangen und hatte sich sicher im Hinterkopf schon zurechtgelegt, welche Teile der Ausrüstung er in welcher Reihenfolge bergen wollte, wenn ihm die Gelegenheit blieb.
    Marc setzte sich in den schief hängenden Pilotensitz. Keine Blutspuren. Sah so aus, als seien beide Passagiere mit ein paar Schrammen davongekommen. Die Taschenlampe, die am Bedienpanel des Cockpits zu klemmen pflegte, fehlte. Das Panel war tot. Das Funkgerät, dessen Mikrofon an seinem Kabel traurig herunterbaumelte, ebenfalls. Marc nahm den kleinen Batterieschraubenzieher aus seinem Werkzeuggürtel und löste vorsichtig die Verschraubung des Panelteils, hinter dem die Verkabelung zu den Sensoren verlief. Die Kabel waren in Ordnung. Er fand keine Unregelmäßigkeiten. Missmutig blickte er über sich. Er würde auf das verfluchte Dach dieser Todesfalle klettern müssen, um wenigstens einen der Sensoren zu bergen. Er verließ das Cockpit.
    „Hey!“, brüllte der Kapitän, als er begriff, was Marc vorhatte.
    „Dauert nur zwei Minuten“, rief er zurück, ohne sich umzudrehen. Lass mich meinen Job machen, du machst deinen, dachte er und klemmte sich den Schrauber zwischen die Zähne. Warum kann ich nicht zwanzig Jahre jünger sein, dachte er grimmig. Ich bin kein Affe und Silas, der Mistkerl, zwingt mich, mich wie einer aufzuführen.
    Einer der vom Technikkorps am Vorabend des Abflugs ausgewechselten Sensoren saß direkt neben der Hauptverschraubung des Rotors. Er löste ihn aus der Verschalung und ließ ihn in seine Hand fallen. Dann begann er den Abstieg, der dreimal so lang schien wie der Aufstieg. Ehe er sich zurück aufs Brett schwang, betrachtete er den Sensor. Er kannte die Marke nicht. Mit fest zusammengepressten Lippen trat er seinen Rückweg aufs Boot an. Wahrscheinlich war das Einzige, was ihn vor einer Ohrfeige des Kapitäns bewahrte, die Tatsache, dass der die zwanzig Jahre jünger war, die Marc sich auf seiner Exkursion gewünscht hatte.
     
    *
     
    Seit achtundvierzig Stunden lebten sie von Energieriegeln und Traubenzucker. Silas’ Magen knurrte böse vor sich hin. Die kleine Erhebung, von der sie sich einen Überblick über diesen Teil des Archipels erhofften, wurde zu einem gewaltigen Berg. Statt näher zu kommen, schien der Gipfel sich immer weiter zu entfernen. Der Wind wurde schneidender. Schneeflocken trieben ihm in die Augen. Kaya war ein wenig zurückgefallen. Er wurde langsamer, damit sie aufholen konnte.
    „Verpusten“, schnaufte sie und schwankte neben ihm im Wind. Winzige Flocken, ein bisschen wie gefrorener Nebel, wirbelten durch die Luft und drangen durch jede noch so kleine Öffnung unter die Kleidung und direkt auf die Haut. Silas war in seinem ganzen Leben noch nie so durchgefroren gewesen. Er würde wahrscheinlich Wochen brauchen, um wieder aufzutauen. So dankbar er für die Fellhose und den Anorak war, auf die der arme Mikael nun auf seiner Fotoreise verzichten musste, hier oben, den Elementen ausgesetzt, nützten sie wenig, weil dieser Schnee wie Sprühregen war und jede noch so kleine Ritze fand, durch die er sich auf die bloße Haut zwängen konnte. Es gab kein Mittel dagegen.
    „Wir brauchen einen Unterschlupf. Für das Zelt ist es zu windig“, rief er Kaya durch das Heulen des Sturms zu. „Wir können nicht weiter.“
    Nicht nur sie war am Ende ihrer Kräfte. Der Gedanke an den nächsten Schritt bereitete ihm Magenschmerzen. Er konnte nicht mehr.
    „Nur noch wenige Meter.“ Sie wies nach vorn.
    Er konnte den Gipfel kaum noch erkennen. Nicht nur das Schneegestöber schränkte die Sicht ein. Die Anstrengung trieb ihm Tränen in die Augen und wegen der Temperaturen und der Kälte

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