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Polarfieber (German Edition)

Polarfieber (German Edition)

Titel: Polarfieber (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Henry
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außer dem Schnee unter der Kapuze und das bis zu seinen Schultern reichende Wasser. Die abgebrochene Scholle war fort. Das Eismeer verschlang ihn.
    Ein Zerren um seinen Bauch. Sein vergeblich kämpfendes Herz? Oder das an ihm saugende Meer? Nein, es war der Strick, mit dem er Kaya gesichert hatte, weil dieses Eskimomädchen die personifizierte Unvernunft war. Jemand zerrte daran. Er ließ die Schelfkante los, trieb ab, wurde zurückgezerrt. Licht flirrte vor seinen Augen. Sein Körper eine schwere, taube Masse. Sein Kopf geriet unter Wasser, tauchte wieder auf. Nicht mehr denken. Nicht mehr … Nicht …

7
     
    „Silas! Nein!“
    Eiskristalle zerplatzten in Kayas Lungen, entfachten blaues Feuer. Sie hechtete nach dem Seil, das über das Schelfeis schlingerte. Eine Schlange aus Nylon, die letzte Möglichkeit, ihn zu retten. Silas war kaum noch zu sehen, so schnell trieb er ab, die feuerrote Kapuze seines Rettungsanzugs ein winziger Punkt Leben. Sein Gesicht konnte sie nicht mehr erkennen. Es zerfloss im Grau der schäumenden, brodelnden Gischt. Es war ihre Schuld. Um ihre Taille hätte das andere Ende der Rettungsleine geknotet sein sollen, aber sie hatte es abgenommen, war ganz von Sinnen gewesen vor Erleichterung, die Hütte so nah vor sich zu sehen. Nun bezahlte Silas für ihre Unvernunft mit dem Leben. Wieder war es ein anderer, der den Preis dafür zahlte, dass sie immerzu mit dem Kopf durch die Wand wollte.
    Verzeiht mir. Bitte, verzeiht mir.
    Noch immer bellten die Hunde, toste das Meer, heulte der Wind. Eisregen biss in ihr Gesicht. Ihre Finger waren steif vor Kälte. Verbissen hielt sie das Seil fest, die einzige Chance, Silas zu retten und ihre Schuld abzutragen. Mit ihrem ganzen Körpergewicht stemmte sie sich in das Seil, ignorierte ihre Schwäche, zog und zerrte, aber alles, was sie gegen das aufgebrachte Meer ausrichtete, war, dass Silas nicht weiter abtrieb. Immer wieder tauchte sein Kopf unter, schlug das schwarz brodelnde Wasser über ihm zusammen.
    Kaya konnte sich nicht einmal vorstellen, wie eisig es im Meer sein musste, wenn sie sich außerhalb vor Kälte kaum noch rühren konnte. Sie stemmte sich mit den Fersen ins Eis, griff um, setzte eine Hand vor die andere. Die Wellen zerrten an der Rettungsleine. Das steife Nylon schnitt durch den Schutz ihrer Handschuhe in die Handflächen, wollte ihr entgleiten. Augenblicklich stürzte Silas in ein Wellental, wurde im grausamen Spiel einer Macht herumgewirbelt, gegen die sie so machtlos war wie die Flocken, die im Sturm tanzten.
    Sie merkte erst, dass sie weinte, als Tränen auf ihre Mundwinkel trafen. Salzig wie das Meer und warm wie das Leben, das Silas nun nicht mehr leben würde. Aber sie gab nicht auf, eher wollte sie hier auf dem Eis mit ihm sterben. Sie biss die Zähne zusammen, packte die Rettungsleine fester, ließ sich mit dem Hintern aufs Schelf fallen, robbte näher an die Bruchkante, wickelte das Nylon um ihre Fersen, um die Kraft ihrer Beine nutzen zu können. Sie ignorierte das Zittern ihres Körpers, die Angst und Ausweglosigkeit der Situation. Stur wie ein Esel hatte Silas sie genannt. Er würde schon noch erleben, was stur hieß, dieser arrogante Trottel. Er hatte keine Ahnung, was stur bedeutete, wenn er wirklich dachte, er könnte sie hier einfach allein lassen. Sterben stand nicht auf dem Programm. Sie waren nicht tagelang durch das Eis geirrt, damit er sie jetzt verließ. Sie biss sich auf die Unterlippe, fühlte die spröde, dünne Haut unter ihren Zähnen platzen, schmeckte Blut und Verzweiflung und setzte alles, was sie hatte, in den Zug ihrer Arme.
    Plötzlich war es ganz einfach, als hätte ihr Trotz helfende Hände heraufbeschworen. Finger in Fellhandschuhen packten in surrealer Leichtigkeit zu, zogen Silas so schnell an den Rand des Schelfs, dass Kaya ihren Augen nicht trauen wollte. Seine Lippen waren blau, seine Wangen grau und benetzt von weiß blitzenden Kristallen. Tränen aus Eis beschwerten seine Wimpern. Eine Leiche wirkte genauso lebendig, doch sie hatte keine Zeit darüber nachzudenken, dass der helfende Engel womöglich zu spät gekommen war. Schon beugte sich der Jäger übers Eis, packte Silas unter den Achseln und zog ihn auf das Schelf. Kaya faltete sich über dem leblosen Körper zusammen, hauchte auf seine Wangen. Winzige Tropfen bildeten sich, wo ihr Atem auf gefrorene Feuchtigkeit traf.
    „In der Hütte habe ich Felle“, murrte der Mann auf grönländisch. „Atmet er noch?“
    Fahrig zerrte sich Kaya

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