Polarfieber (German Edition)
“
Statt sich zu beruhigen, zuckte er vor ihrer Berü h rung zurück. Er riss sich los, sprang vom Lager auf. Schwankte. Selbst im Dämme r licht sah sie, wie sich seine Brust unter seinem schweren Atem hob und senkte. Wild pulsierte die Vene an seinem Hals. Kaum hatte er sich einigermaßen gefangen, ging er leicht in die Knie, spannte die Muskeln und ballte die Fäuste, als wolle er sie im nächsten Moment angreifen.
Auch ihr Puls begann zu rasen. Er stand nackt vor ihr, erregt, die Wangen fieberrot, die Haare wild zerzaust. Ein Raubtier kurz vor dem Sprung. Er wollte ihr nichts tun, das glaubte sie zu wi s sen, doch so richtig wohl war ihr nicht. Er war gefangen in einem Fiebertraum, wusste nicht, wo er war und was er tat. Vorsichtig wich sie vor ihm zurück. Schritt für Schritt, bis sie die Brette r wand in ihrem Rücken spürte.
„ Silas “ , flehte sie. „ Silas, du musst aufwachen. Ich will dir nichts tun. “
Immer noch irrte sein Blick umher. Langsam öffneten sich se i ne Fäuste. „ Kaya? “
Gott sei Dank. Auch wenn sie sicher war, dass ihr Lächeln schief geriet, schlich es sich auf ihre Lippen. „ Ein schlechter Traum “ , sagte sie . E s gelang ihr trotz aller Erleichterung nicht, das Unbehagen aus ihrer Stimme zu verbannen. „ Geh z u rück unter die Decken. Du hast Fieber. “
Immer noch verwirrt, sah er an sich hinab . Als er bemerkte, dass er nackt war, schossen seine Hände zu seiner Blöße. „ Es … sorry. Ich … “
„ Schon okay “ , sagte sie. „ Das Adrenalin. Ich hab e gehört, dass das passieren kann. Mach, dass du wieder ins Warme kommst. “
Sichtlich verlegen gehorchte er , h ob die Decken an und kroch in den Schlafsack.
„ Ist es in Ordnung, wenn ich zu dir komme? “ , fragte sie. „ Das muss ein ziemlich heftiger Traum gewesen sein. “
„ Ich wollte dir keine Angst machen. “
Kaum lag Silas wieder flach , fielen seine Augen zu.
„ Du bist so heiß. “ Ob sie zu ihm sprach oder zu sich selbst, kon n te sie nicht sagen. „ Ich hol e dir was zu trinken. “
„ Bleib. “ Er griff nach ihrem Arm und zog sie zu sich. „ So kalt. “
Bereitwillig ließ sie sich neben ihn ziehen. So nah es ging , rückte sie an ihn heran, versuchte durch Decken und Felle ihre Wärme in se i nen Körper zu zwingen. Eine Weile lagen sie ruhig da.
„ … hätte es sein sollen. “ Wieder sprach das Fieber aus ihm. „ Nicht er … so leid … nie mehr zurück. “
Beruhigend strich sie ihm über die Stirn. „ Wir werden zurüc k kommen. Issitoq holt Hilfe. Alles wird gut. “
Sie schmiegte sich an ihn und wiederholte die Worte, wann i m mer er wieder aufwachte . Dann betete sie. Keinen Gott, keinen Vorfa h ren, keinen Heiligen ließ sie aus. Sie fühlte sich zurückve r setzt in die Zeit vor fünf Jahren. Damals hatte sie um eine zweite Chance geb e tet, um einen Irrtum, um Vergessen und Verzeihen. Ihre Gebete waren nicht erhört worden. Oder vielleicht doch? Hatte Gott ihr diesen Mann geschickt, um es wiedergutzum a chen? Um Leben zu schenken, wo sie Nattoq nur Tod gebracht hatte? Sie wusste es nicht.
Ob Tage vergangen waren oder nur Stunden, in denen sie Silas abwechselnd kühlende und wärmende Umschläge machte und ihm schluckweise zu trinken gab , konnte sie nicht sagen. Alles, was sie wusste , war, dass sie die Realität wie eine Decke um ihn legen wollte, wenn er im Delirium f antasierte, dass sie ihn trö s ten wollte, wenn er schrie, und halten musste, wenn er weinte. Was war das für ein Kampf, den er an einem dunklen Ort zwischen Wachsein und B e wusstlosigkeit ausfocht ? Ihr Herz wollte brechen bei dem Gedanken an das, was ihn so quäl en mochte.
„ Ich bin bei dir “ , flüsterte sie, als sein Blick , tr ä nenverhangen und glasig, durch die Hütte irrte. „ Alles nur ein Traum “ , tröstete sie, wenn er seine Hände in die Haare grub und verzweifelt den Kopf schüttelte, und doch gab es da eine leise Stimme in ihrem Kopf, die sie Lügen strafte und mit der Ahnung quälte, dass j e mand , der so litt, nicht nur träumte.
Als sie draußen vor der Hütte das unmissve r ständliche Geräusch eines sich nähernden Hund e gespanns vernahm, waren ihre Muskeln steif, ihr Herz schwer und ihre Seele fühlte sich wund an. Sie war am Ende ihrer Kräfte. Mit steifen Gliedern stand sie auf. Silas schlief und sie hoffte, dass er von dem Getöse nicht aufwachte. Er brauchte den Schlaf. Ihre Knie fühlten sich an wie Wacke l pudding, als sie zur Tür ging und
Weitere Kostenlose Bücher