Polarfieber (German Edition)
Herrn Greve persönlich nah, Frau Doktor Motzfeldt?“ Sie knirschte mit den Zähnen. Was war nun die richtige Antwort? Der Polizist lachte leise, bevor er sich dazu herabließ, wieder mit ihr zu sprechen. „Das hab ich mir gedacht. Allerdings können Sie Ihre Krallen wieder einfahren, Sie sind bei mir an der falschen Stelle. Der Fall ging über auf die Militærpolitiet. Ich bin ebenso raus aus dem Spiel wie Sie.“
Militærpolitiet? Was um alles in der Welt hatte die dänische Militärpolizei mit dem Ganzen zu tun? „Aber Silas ist nicht mehr beim Militär. Der Flug hatte einen zivilen Zweck, es ist …“
„Nun, wie es aussieht, gibt es da einiges, was Sie von ihrem Prince Charming nicht wissen. Es ist ein beschissenes Gefühl, immer auf das falsche Pferd zu setzen, nicht wahr?“
Die Häme des Bluthunds beendete sie mit einem Tastendruck. Widerlicher Bastard! Aber er hat ja recht, maulte ein Teufelchen in ihrem Ohr. Was wusste sie schon über den Mann, mit dem sie eine kurze Zeit von einer Zukunft geträumt hatte. Nichts, sagte die Vernunft. Alles, was wichtig ist, sagte das Herz. Es war an der Zeit, eine Entscheidung zu treffen. Sie öffnete das Adressbuch ihres Mobiltelefons und suchte nach Nives Nummer.
*
Nur mit Mühe unterdrückte Kaya den Drang, sich auf den Boden zu werfen und den Asphalt zu küssen, als sie nach vielen Stunden Flug in Thule endlich das Flugzeug verließ.
Sie hatte ihre Entscheidung noch in der vergangenen Nacht getroffen. Sie würde nicht tun, um was Silas sie gebeten hatte. Sie würde nicht in einem Hotel sitzen oder in ihrem Häuschen in Qaanaaq und auch nicht bei ihren Eltern in Ilulissat, und ihn tatenlos der Willkür des Militärs überlassen. Sie würde nicht zusehen, wie ihre Zukunft zersprang, kaum dass sie sich einmal gestattet hatte, wieder an so etwas wie eine Zukunft für sich zu glauben. Sie würde auch nicht zulassen, dass Menschen wie Arne Kleist, der aus jeder Pore seiner grönländischen Haut Unfreundlichkeit ausdünstete, Zweifel säten, wo ihr Herz ihr doch ganz unmissverständlich sagte, dass sie alles über Silas wusste, was wichtig war.
Nicht erwartet hatte sie allerdings, dass das Schwierigste an dieser Entscheidung der Flug sein würde. Das Telefonat mit WhiteLand, in dem sie sich zurückmeldete und gleichzeitig verkündete, dass sie auf unbestimmte Zeit Urlaub benötigte, um sich von den Strapazen ihres Abenteuers zu erholen, hatte sie souverän gemeistert, ebenso das Gespräch mit ihren Eltern, denen sie versicherte, dass sie sich keine Sorgen machen mussten. Vor beidem hatte sie Angst empfunden. Wirklich den Boden unter den Füßen weggezogen hatte ihr jedoch das Gefühl, erneut zwischen Erde und Himmel zu schweben, mit nichts als dem Können eines Piloten als Sicherheitsnetz. Auf ihrem Rettungsflug weg von der Hütte war das anders gewesen. Vielleicht war sie da noch zu erschöpft gewesen. Wesentlich wahrscheinlicher war es jedoch Silas’ Gegenwart gewesen, die ihr Sicherheit vermittelt hatte, das irrsinnige Gefühl, dass, ganz egal, was geschehen möge, er einen Weg finden würde, den Rettungshubschrauber wieder sicher zu landen.
Diesmal war Silas nicht bei ihr. Er saß in irgendeiner Gefängniszelle. Einsam. Und nur der Gedanke daran, dass es nun an ihr lag, ihm wieder einen Grund zur Zuversicht zu geben, hielt sie davon ab, nicht Reißaus zu nehmen, sobald ihr Flug aufgerufen wurde. Die Stunden im Flugzeug glichen einer Abfolge aus Albträumen. Flashbacks vom Absturz, Erinnerungen an die Zeit im Eis, an die Kälte der letzten Jahre ihrer Ehe, an die Liebe mit Silas, all das quälte sie, beutelte sie hin und her, während sie versuchte, unter dem Einfluss eines leichten Schlafmittels den Flug zu überstehen.
Die Müdigkeit kam erst mit der Erleichterung, aber als sie Marc Rossums Gesicht sah, wie es ihr rund und faltig zulächelte vom Rollfeld, war sie augenblicklich wieder wach. „Marc. Danke, dass du gekommen bist, um mich abzuholen.“
„Selbstverständlich. Willst du auf den Flughafenshuttle warten, oder soll ich dich direkt mitnehmen?“
„Du bitte.“
Sie lächelte ein wenig und Marc lächelte zurück. Nicht wirklich freundlich, eher grimmig, aber das machte nichts, denn auch ihr war nicht nach Freude zumute.
„Jetzt erzähl schon, was da im Süden passiert ist mit dem Knaben. Du klangst sehr aufgeregt am Telefon.“
„Sie haben ihn verhaftet.“
„Verhaftet?“ Der Caddy ruckelte ein wenig, als Marcs Fuß bei ihrer
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