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Polarfieber (German Edition)

Polarfieber (German Edition)

Titel: Polarfieber (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Henry
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Messer eines alten Mannes an Dylans Kehle und Silas hatte eine Salve aus seiner Waffe in den Bauch des Alten gejagt. Sein Herz war dabei gebrochen. Nicht seine erste Leiche. Nicht in diesem Gefecht, nicht in diesem Krieg. Auch nicht seine letzte, er hatte bei dem Massaker, das in diesem Moment begann, weitergeschossen, als habe er den Verstand verloren. Den alten Mann vorsätzlich umzubringen, der wohl der Großvater des erschossenen kleinen Mädchens gewesen und in grenzenloser Trauer verzweifelt war, hatte sein Herz für alle Zeiten zerfetzt.
    Dylan danach zu finden, von einer einzigen Kugel mitten ins Gesicht getroffen, hatte ihm den Rest gegeben. Um das Leben seines Freundes zu retten, hatte er den Großvater getötet. Wofür? Die Sinnlosigkeit hatte ihm die Flügel geraubt. Wie er den Helikopter an jenem Tag zurück zum Stützpunkt gebracht hatte, daran konnte er sich hinterher nicht mehr erinnern, er wusste es bis heute nicht. Sie hatten versucht, ihn wieder in einen Vogel zu setzen, weil er einer der besten Piloten war, die in diesem verfluchten Krieg flogen. Aber dann hatten sie ihn nach zehn Sitzungen mit dem Armee-Psychologen schlussendlich doch aus Afghanistan ausgeflogen.
    Das Handy piepte. Der Akku war voll. Er nahm es auf und begann wieder Solitär zu spielen.
     
    *
     
    „Kaya!“ Nive kam über sie wie ein Wirbelsturm. „Wie konntest du uns das nur antun? Wir alle hier sind fast gestorben vor Sorge um euch. Mehr als eine Woche im Eis! Das …“
    Noch bevor Kaya Zeit hatte, Luft zu holen, fand sie sich in einem heillosen Gewühl aus Armen und Küssen wieder. Sie ließ ihren Rucksack fallen und erwiderte Nives herzliche Begrüßung. Als der erste Ansturm vorbei war, kam die Peinlichkeit. So resolut, wie es nur ging, ohne unhöflich zu wirken, trat sie einen Schritt zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. „Nun ja. Es ist ja nicht so, als ob wir das alles freiwillig gemacht hätten.“
    „Allerdings.“ Nive schnaufte. „Als Marc mir von dem manipulierten Sensor erzählt hat, habe ich gedacht, ich höre nicht richtig. Und als dann auch noch …“
    „Manipulierter Sender?“ Sie musste etwas falsch verstanden haben. Immer noch hatte sie diesen Druck auf den Ohren vom Flug. Bestimmt hatte Nive irgendwas anderes gesagt. Masseninduktionssender, oder so. Auch wenn Kaya natürlich keine Ahnung hatte, was ein Masseninduktionssender sein sollte.
    „Nive!“ Hinter ihr betrat Marc die Wohnküche der Familie. Sein Tonfall ließ keinen Zweifel daran, was er von dem Geplapper seiner Frau hielt.
    Nive biss sich auf die Unterlippe. Ihre Gesichtsfarbe bemühte sich, die grönländische Flagge zu imitieren, indem sie kalkweiß wurde, mit knallroten Flecken auf den Wangen und der Nase. „Ist … hat …“ Sie stotterte, doch dann leuchteten ihre Augen auf. „Marc! Du hast Kaya doch nicht etwa verheimlicht, dass es sich bei dem Absturz höchstwahrscheinlich um Sabotage gehandelt hat? Wie kannst du nur? Kaya wäre beinah ums Leben gekommen, es ist ihr gutes Recht, zu wissen, dass es jemand auf sie abgesehen hat.“ Ein wütendes Schnauben unterstrich ihre Empörung. „Marc Rossum, ich bin entsetzt.“
    Angriff war noch immer die beste Verteidigung. Keine Frau, die diese Weisheit nicht schon mit der Muttermilch eingesogen hätte. Auch für Nive schien die altbewährte Taktik aufzugehen. Es wäre fast komisch gewesen, wie aus knapp zwei Metern bärigem Elektroingenieur unter der Tirade einer knapp zwanzig Jahre jüngeren Ehefrau ein nervöses Häuflein Ehemann wurde. Fast. Wäre da nicht der bedrohliche Inhalt der Worte gewesen, die diese Metamorphose herbeiführten. Manipulation. Sabotage. Sämtliche Geschmacksnerven in ihrer Mundhöhle zogen sich zusammen, hinterließen Trockenheit und Bitternis.
    „Verdammt“, brummte Marc. „Das hätte so nicht laufen sollen. Zum Teufel nochmal. Jetzt setz dich erst einmal hin, Kaya.“ Resolut schob Marc sie weiter in die Küche hinein. Es war eine Insel der Gemütlichkeit. Dunkle Terrakottafliesen auf dem Boden, ein großer Frühstückstresen mit blau-weißen Kacheln, der den Raum in zwei Hälften trennte. Auf der einen Seite fanden sich ein großer Gasherd mit vier Flammen, Fichteneinbauschränke und eine riesige Granitarbeitsfläche. Auf der anderen Seite lud ein großer quadratischer Fichtentisch mit gedrechselten Holzstühlen und bunt karierten Sitzkissen zum Verweilen ein. Vor dem Durchgang Richtung Wohnzimmer bullerte ein gusseiserner Schwedenofen und

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