Polarfieber (German Edition)
Arbeitgeber bereits entzogen. Ich habe keinen Zugriff auf ein Fluchtfahrzeug, denn nur ein Hubschrauber hat hier als solches einen Sinn. Ich kann Ihnen kaum entkommen. Ich sage Ihnen gern meine Zimmernummer im Hotel, aber ich vermute, die wissen Sie bereits. Organisieren Sie eine neue Anhörung für morgen Vormittag, vielleicht finden Sie einen Vertreter der Home Rule, der sich das anhört, dann bin ich zufrieden, auch wenn ich durchaus das Recht habe, einen dänischen Vertreter zu verlangen. Ich bin müde, Officer, Sie haben mir einen ganz schönen Brocken serviert, den ich verdauen muss. Zudem habe ich gerade einen Absturz und mehrere Tage im Eis hinter mir. Und den Biss eines Polarfuchses.“ Er hob seine Hand, die nicht mehr umwickelt war, aber deutliche Bissspuren aufwies. „Ich befinde mich in ärztlicher Behandlung und wette, mein Arzt wäre nicht amüsiert über die Nummer, die sie hier abziehen.“
Wieder tauschten die Polizisten einen Blick. Silas atmete tief durch. „Oder schließen Sie mich in diesem Raum ein. Es ist mir inzwischen scheißegal. Ich brauche ein paar Stunden Ruhe, kapieren Sie? Ich bin am Ende für heute.“
Der Mann, der telefoniert hatte, streckte die Hand aus. „Ihr Mobiltelefon.“
„Was?“
„Geben Sie mir Ihr Telefon. Das ist mein Recht, Greve, da Sie ja so sehr auf Ihre Rechte pochen. Dann können Sie gern auf Ihr Zimmer gehen, aber glauben Sie nicht, dass wir die Ausgänge nicht im Auge behalten.“
Silas holte das neue Handy aus seiner Hosentasche, das Air Greenland ihm zur Verfügung gestellt hatte, und händigte es aus. „Was für ein Aufwand“, murmelte er. „Sind Sie sicher, dass der gerechtfertigt ist?“
„Das lassen Sie unsere Sorge sein. Wenn es um die Aufklärung des Todes eines Royal Marines geht, sitzt unserer Queen die Brieftasche locker, denn wenn der unaufgeklärt bleibt, klebt er an ihr.“
„Jetzt behaupten Sie schon, die Queen habe persönlich meine Verhaftung beantragt. Ich werde auf meine alten Tage noch prominent.“ Niemand hielt ihn auf, als er zur Tür ging, auf den Korridor hinaustrat und die Tür leise wieder ins Schloss zog.
*
Als Kaya ihr Hotelzimmer erreichte, war sie ruhiger geworden. Trotzdem war es schwer, das Zimmer zu betreten, in dem sie noch vor zwölf Stunden mit Silas gelegen hatte. Sie sah auf das Bett. Hier hatten sie sich geliebt, hatten mit ihren Körpern und ihrer Leidenschaft den Grundstein für eine Zukunft gelegt, die noch beginnen sollte. Diese Zukunft drohten sie ihr nun zu nehmen. Doch Kaya Motzfeldt ließ sich nichts mehr nehmen. Sie dachte an Silas, fragte sich, wo er jetzt war. Ungefragt tauchte das Bild einer Gefängniszelle vor ihrem geistigen Auge auf. Kahl, kalt. Kalt, auf eine ganz andere Weise, als Issitoqs Hütte. Nein, sie hatte Jahre ihres Lebens verschwendet, weil sie dachte, an etwas Unabänderlichem festzuhalten, würde etwas von der Schuld von ihren Schultern nehmen, die sie jedes Mal beim Gedanken an Nattoraliks Tod niederdrückte. Aber sie hatte dazugelernt. Silas hatte sie gelehrt, dass es weiterging. Solange man noch atmete, lebte man, und dieses Leben, dieses verrückte Leben in diesem verrückten Land war es wert, gelebt zu werden. Sie konnte die Rädchen fast hören, wie sie in ihrem Kopf ineinandergriffen und rotierten. Sie würde ihn nicht im Stich lassen. Sie würde nicht zulassen, dass Zweifel zerstörten, was aus Eis und Einsamkeit und Verständnis und Vertrauen gewachsen war. Zweimal noch atmete sie durch, dann nahm sie den Hörer des Telefons ab. Trotz aller guten Vorsätze zitterten ihre Finger so stark, dass er ihr beinah aus der Hand gefallen wäre.
Auf dem Tischchen neben dem Telefon lag noch immer die Visitenkarte von Arne Kleist, dem Bluthund mit den kurzen Haaren, der sie im Krankenhaus befragt hatte. Ihn mitten in der Nacht aus dem Bett zu klingeln, machte ihr nicht die geringste Spur von schlechtem Gewissen. Fast war sie ein wenig enttäuscht, als Kleist kein bisschen verschlafen klang, als er das Telefonat entgegennahm.
„Hallo?“
„Herr Kleist? Kaya Motzfeldt hier. Sie haben mir Ihre Karte im Queen Ingrid’s gegeben.“
„Ja, ich erinnere mich. Möchten Sie eine Aussage machen? Dann müssen wir uns im Präsidium …“
„Ich möchte wissen, was genau Silas Greve zur Last geworfen wird. Er wurde heute Abend verhaftet. Diese Schlammschlacht kann sich nur auf Indizien stützen. Warum haben Sie ihn festnehmen lassen? Seine Flugerlaubnis …“
„Stehen Sie
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